Ich muss dir etwas sagen
kommt es, daß selbst Menschen, die eigentlich jeder Konfrontation aus dem Weg gehen, plötzlich gar mit den
unangenehmsten Wahrheiten herausplatzen.
Wie man diesen Fehler vermeidet
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Der beste Rat wäre natürlich: Tun Sie es nicht. Niemand braucht Ihnen zum Beispiel zu erklären, wieso man nicht über eine rote Ampel fährt. Wenn sie rot ist, fahren Sie eben nicht. So ist es mit jeder Wahrheit, deren Äußerung Ihnen selber oder jemand anderem auch nur die geringsten Schwierigkeiten
bereitet: Die Ampel steht auf Rot. Sagen Sie schlicht und
ergreifend nichts, bis Sie darüber nachgedacht haben, was Ihre Wahrheit in Wirklichkeit ist, was Sie damit anstreben, was der andere braucht und wie er reagieren wird. Je brisanter die Wahrheit ist und je empfindlicher Ihre Beziehung zur
betreffenden Person, desto genauer sollten Sie alle Punkte durchgehen, die in diesem Buch besprochen wurden.
Zumindest sollten Sie die beiden zuvor erwähnten Fragen
zufriedenstellend beantworten können. Sie sind so entscheidend, daß ich sie wiederholen möchte:
► Wissen Sie, wie der andere reagieren wird?
► Ist dies die Reaktion, die Sie wollen?
Betrachten Sie die Sache einmal wie ein Schachspiel oder
Bridge oder irgendein anderes Spiel, zu dem man ein
Mindestmaß an Intelligenz benötigt. Erinnern Sie sich daran, einmal mit einem Kind Schach gespielt zu haben? Wie der
Kleine eine Figur bewegte, ohne zu überlegen, wie Sie darauf wohl reagieren könnten? Das würden Sie niemals tun. Bevor Sie einen Zug machen, überlegen Sie immer, mit welchem Zug der andere diesen möglicherweise beantwortet. Wenn ich selber
Schach spiele, dabei einen Zug mache, ohne darüber
nachzudenken, und in der Folge eins auf den Deckel kriege, fühle ich mich immer wie ein dummes Kind. Müssen Sie
jemandem, der Ihnen wichtig ist, eine Wahrheit sagen, könnten Sie noch weit schlimmer eins auf den Deckel kriegen, wenn Sie sich nicht überlegen, wie er auf Ihre Worte reagieren wird - und
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das ist kein Spiel. Der Preis, den Sie gegebenenfalls zahlen müssen, ist ganz real.
Ein Feind namens Spontaneität
Vielleicht hilft es zu wissen, daß wir alle einen Feind von Überlegungen und Rücksichtnahme in uns tragen. Einem Teil
unserer Persönlichkeit ist der Gedanke verhaßt, unsere Worte abzuwägen und über mögliche Reaktionen nachzudenken, bevor wir etwas sagen. Wir wollen uns frei und dabei völlig sicher fühlen. Wir wollen uns wie zu Hause fühlen, wo wir tun und lassen können, was wir wollen.
Dieser Teil unserer Persönlichkeit hält es für verwerflich, die Wahrheit solange zurückzuhalten, bis wir „soweit sind”, sie zu äußern. Der Vergleich mit dem Schachspiel dürfte einigen
Leserinnen und Lesern ziemlich unangenehm sein. Schach hat so etwas Kaltes, Berechnendes, und Unmenschliches. Die
Beziehung zu denen, die wir lieben, ist doch kein Schachspiel!
Zwei Seelen ringen in unserer Brust: Da ist einerseits der
„gute” Mensch, der sich frei fühlt, die Wahrheit zu sprechen. Er ist, wie Forrest Gump (aus dem gleichnamigen Film), die
Unschuld in Person, und man kann sich kaum vorstellen, daß er jemals nachgedacht hat, bevor er etwas sagte. Er ist wie ein Kind. Und manche wünschten, auch so sein zu können. Und
dann ist da noch der „schlechte” Mensch in uns, der
charakterlose Machtpolitiker, der sich alles überlegt, bevor er spricht, und deshalb nur manipulieren und lügen kann. So
schlagen wir uns also auf die Seite unserer Spontaneität, weil wir sie als Zeichen von Güte, Hoffnung und Freiheit sehen.
Behutsam mit der Wahrheit umgehen
Bei alldem vergessen wir nur zu gerne, daß unbedachtes
Gerede endlose Schwierigkeiten verursacht. Uns ist
offensichtlich nicht klar, daß wir uns nicht entweder für Forrest
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Gump oder die Machtpolitik entscheiden müssen. Wir haben
eine dritte Möglichkeit: Wir können uns voll und ganz für die Wahrheit engagieren und zugleich dafür, den Schaden zu
vermeiden, den gedankenloses Herausplatzen verursacht.
Betrachten Sie Ihr Abwarten - bis Sie soweit sind - doch als etwas, das nicht nur für Sie, sondern für alle Beteiligten gut ist; als nicht nur für Sie persönlich hilfreich, sondern auch einen Schritt in Richtung einer besseren Welt.
Vor dem Sprechen nachzudenken ist etwas ganz anderes, als
gar nicht zu sprechen. Konfliktscheue Menschen wie ich sitzen oft lange, lange Zeit auf einer Wahrheit herum und trauen sich nicht, sie zu äußern. Aber die Tatsache,
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