Ich muss dir etwas sagen
daß Sie lange Zeit auf einer Wahrheit „gesessen” haben, heißt noch nicht, daß Sie in all den Monaten auch nur einen Gedanken an die Bedürfnisse der betreffenden Person oder an ihre möglichen Reaktionen
verschwendet haben. Sie haben lediglich nicht darüber geredet.
Diesen Fallstrick vermeidet man am besten, indem man zuerst beschließt, die schwierige Wahrheit zu äußern. Mit diesen
Entschluß motiviert man sich nun dazu, darüber nachzudenken, wie man es am besten sagen kann und was man dabei alles
berücksichtigen sollte.
Das Manana-Syndrom
Wir haben uns zuvor damit befaßt, wie wichtig es ist, die
Wahrheit solange für sich zu behalten, bis man den Wortlaut festgelegt hat und weiß, in welche Kategorie sie gehört, welche Reaktion man anstrebt und wie diese - unabhängig davon -
wahrscheinlich ausfallen wird.
Durch diese Antworten läuft man nun nicht mehr Gefahr, mit der Wahrheit herauszuplatzen, aber es lauert - die
Verschleppung. Das Manana-Syndrom droht: Sie befürchten die Enthüllung oder den Konflikt so sehr, daß Sie immer wieder auf
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morgen verschieben, was Sie heute tun sollten.
An dieser Stelle möchte ich ein paar Kommentare Betroffener zitieren, die es als „Empfänger” mit dem Manana-Syndrom zu tun hatten:
► „Daß sie so lange darauf gewartet hat, mir das zu erzählen, hat mich davon überzeugt, daß sie immer noch etwas zu
verbergen hat. Ich frage mich: Was verheimlicht sie mir sonst noch?”
► „Ich fühlte mich manipuliert, weil er so lange damit
gewartet hatte, und habe deshalb gar nicht richtig zugehört.”
► „Für wen hielt er mich eigentlich, für jemanden, der
Probleme hat, sich das anzuhören? Ich fühlte mich beleidigt durch die Verzögerung, und das war für mich das Schwierigste an der ganzen Sache.”
Das Manana-Syndrom ist nicht nur verführerisch, es verursacht auch eine Menge Schaden. Wenn Sie und ich beispielsweise
eine Verabredung haben, und ich komme eine Viertelstunde zu spät, werden Sie Ihre Verärgerung darüber wahrscheinlich nicht äußern. Vielleicht ärgert es Sie anfangs auch gar nicht, denn was sind schon 15 Minuten - Schwamm drüber -, und ich verspäte mich vermutlich in Zukunft auch nicht mehr. Aber mal
angenommen, wir treffen uns regelmäßig, und ich komme
immer wieder zu spät. Je länger Sie damit warten, mein
Verhalten zu kritisieren und mir zu sagen, wie Sie sich dabei fühlen, desto ärgerlicher werden Sie. Und je länger Sie darüber schweigen, desto sicherer kann ich in der Überzeugung sein, daß meine Verspätung Sie nicht weiter stört - und desto größer ist der Ausbruch, auf den wir uns zu bewegen. Wenn Sie dann
schließlich etwas darüber sagen, schimmert Ihre geheime
Verärgerung unweigerlich durch, und ich wundere mich über
das Ausmaß Ihres Ärgers, weil Sie nie zuvor etwas gesagt
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haben. Um diese chaotische Konfrontation zu vermeiden,
suchen Sie nun vielleicht nach einem eleganten Ausweg, sich nicht mehr mit mir zu treffen.
Das dem zugrundeliegende Prinzip lautet: Wer schweigt,
stimmt zu. Vielleicht sehen Sie das anders, aber für die meisten bedeutet es das ganz sicher. Wenn Sie mir nicht sagen, daß meine dauernde Verspätung Sie stört, muß ich davon ausgehen, daß Sie kein Problem damit haben. Wenn Sie mich später
deshalb harsch anfahren, muß ich entweder das Gefühl haben, daß Sie Ihre Haltung willkürlich ändern (und mich fragen, was Sie denn für ein launischer Mensch sind) oder aber, daß Sie Ihre Zustimmung zu meiner Verspätung immer nur vorgetäuscht
haben (und mich fragen, welch ein hinterhältiger Zeitgenosse Sie sind).
Das Manana-Syndrom läßt andere glauben, sie könnten tun,
was sie wollen, ohne daß es Konsequenzen hat, und es
signalisiert, daß Ihre Wahrheit Ihnen eigentlich nicht wichtig ist.
Wie man diesen Fehler vermeidet
Es ist verständlich, daß wir alle dazu neigen, unangenehme Wahrheiten vor uns herzuschieben. Angst und Aufschub sind
Zwillinge, wie ein zum x-ten Mal verschobener Arzt- oder
Zahnarztbesuch deutlich zeigt. Am leichtesten vermeidet man das Manana-Syndrom mit der Anwendung des „Beim-nächsten-Mal”-Prinzips: Beschließen Sie, daß Ihre brisante Wahrheit beim nächsten Zusammensein mit der betreffenden Person oder beim nächsten Auftauchen des Problems - oder welches
„nächste Mal” auch zutreffen mag - auf den Tisch kommt.
Definieren Sie für sich ganz klar, was oder wann „das nächste Mal” ist, und legen Sie sich
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