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Ich muss Sie küssen, Miss Dove

Titel: Ich muss Sie küssen, Miss Dove Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lee
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ein Fächer, sagte sie sich, und diese junge Dame hatte bestimmt mehr Verwendung dafür, als Emma je haben würde. Selbst wenn sie ihn gekauft hätte, wohin dann damit? Wahrscheinlich hätte sie ihn an die Wand gehängt, wo er bloß staubig geworden wäre.
    Dieses Mädchen befindet sich im Frühling ihres Lebens, dachte Emma. Eine Zeit, in der ein Fächer aus Pfauenfedern etwas Sinnvolles für eine junge Dame war, eine Zeit der Bälle, des Tanzens und der Romantik; eine Zeit der Hoffnungen, der Träume und der Pläne für die Zukunft — eine Zukunft, die aufregend, heiter und voller Möglichkeiten war.
    Emmas eigener Frühling war schon seit Jahren vorüber, wenn es ihn denn je gegeben hatte. Sie erinnerte sich daran, wie sie mit achtzehn, neunzehn, zwanzig gewesen war — rettungslos verliebt und hoffend, dass Mr. Parker das Gleiche empfand, in Erwartung einer Liebeserklärung und eines Heiratsantrags, den er ihr dann doch nie gemacht und stattdessen eine andere geheiratet hatte.
    Dann war die gute Tante Lydia krank geworden. Fünf Jahre lang hatte Emma sie gepflegt und verzweifelt gebetet, dass die alte Frau wieder gesund werden würde. Doch am Ende hatte sie mit ansehen müssen, wie der Sarg in die Erde hinabgelassen wurde.
    Und heute gab es einen Lord Marlowe, der nicht gewillt war, je eins ihrer Bücher zu veröffentlichen, ja, der sie nicht einmal gelesen hatte. Fünf Jahre der Hoffnung, harter Arbeit Nacht für Nacht an der Schreibmaschine — alles vergebens.
    Das waren die Bahnen, in denen ihr Leben verlief. Ihre ganze Jugendzeit lang hatte sie auf Dinge gewartet, die nie eingetreten waren. Jetzt war sie dreißig.
    Die jungen Damen kamen auf die Tür zu und Emma trat zur Seite, um ihnen Platz zu machen. Sie sah den ausgefallenen Fächer aus Pfauenfedern in der Hand seiner neuen Besitzerin zur Tür hinaus verschwinden, und irgendetwas in Emma zerbrach.
    Zu spät, erkannte sie auf einmal. Sie hatte so viele Jahre immer das vor sich hergeschoben, was sie sich wünschte, bis es zu spät gewesen war.
    Bei diesem Gedanken drängten plötzlich alle Gefühle, die sie seit dem Verlassen des Verlagshauses so mühsam in Schach gehalten hatte, mit aller Macht an die Oberfläche. Sie presste sich die Hand vor den Mund und versuchte, die Fassung zu bewahren, aber es gelang ihr nicht. Wie bei einem Dammbruch strömten all ihr Zorn und ihre Verzweiflung aus ihr heraus. Zu ihrem eigenen Entsetzen brach Emma in Tränen aus.

4. KAPITEL
Männer wundern sich, warum Frauen nicht in der Lage sind, vernünftig zu handeln. Was sie nicht verstehen — wir tun das sehr wohl.
    Mrs. Bartlebys Essays über das häusliche Leben, 1893

    In Bezug auf seine Familie hielt Harry sich für einen großmütigen Mann, aber, bei Gott, es gab Grenzen. Vier Tage, in denen seine Schwestern bei jeder Gelegenheit die Begabungen und den Charme ihrer Gäste gepriesen hatten, und um seine Großmut war es geschehen. Melanies wehmütige Heldenverehrung, Nans mittelmäßiger Gesang, Felicitys heiratswütige Blicke und Florences gehaltloses Geschwätz drohten nicht nur seine gute Laune zu ruinieren, sondern auch noch seinen Verstand.
    Als man ihm Montagmorgen mitteilte, ihre Hausgäste würden sie auf Rathbournes Jacht begleiten, wo er den ganzen Tag und den Abend ohne Rückzugsmöglichkeiten in der Gesellschaft der Damen verbringen würde, war Harry klar, dass er etwas tun musste. Ihm wollte bloß nicht die richtige Idee einfallen.
    Er konnte die albernen Mädchen schlecht zu Dillmouth zurückschicken. Seine Mutter würde zu weinen anfangen, eine schreckliche Vorstellung. Seine Schwestern würden sich einfach auf die Suche nach neuen Heiratskandidatinnen begeben, was sogar noch schlimmer war. Sein gesellschaftliches Ansehen würde noch mehr Schaden erleiden, denn Dillmouth würde die Kränkung seiner Töchter und Nichten nicht so ohne Weiteres hinnehmen. Kurz gesagt, das Ganze würde in einem betrüblichen Durcheinander enden, und so etwas versuchte Harry immer möglichst zu vermeiden.
    Leider mied das Durcheinander nicht immer Harry. Als er im Büro vorbeischaute, um die Halliday-Verträge zu unterzeichnen, ehe er weiter zu Rathbournes Fest fuhr, wurden seine Pläne durchkreuzt, alles lief nicht so, wie es sollte, und er selbst saß plötzlich mitten im Schlamassel.
    Alles begann mit Mr. Tremayne. Tremayne leitete die Zeitungsabteilung; ein Mann mit rötlichem Gesicht und einem heiteren Naturell, der fast jede Krise in den Griff bekam. Nicht an diesem Tag.

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