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Ich muss Sie küssen, Miss Dove

Titel: Ich muss Sie küssen, Miss Dove Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lee
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leben.
    Nach nur zwei Monaten erhielt sie bergeweise Briefe, so viele, dass sie gar nicht mehr alle rechtzeitig beantworten konnte. Manchmal hörte sie den Namen von Mrs. Bartleby fallen, wenn sie mit anderen an einer Straßenecke auf den Omnibus wartete oder in einem Laden anstand, bis sie an der Reihe war. Diese plötzliche Bekanntheit war ziemlich aufregend, aber wenn ein Brief, den sie erhielt, oder die Meinung, die sie zufällig mitanhörte, negative Kritik enthielt, war Emma für Stunden völlig niedergeschlagen und aß zu viel Schokolade.
    Doch trotz dieser vorübergehenden Anfälle von bedrückter Stimmung, war sie noch nie im Leben zufriedener gewesen. Was sie jetzt tat, war so viel nützlicher, als dafür zu sorgen, dass ein sprunghafter, gedankenloser Mann seine Termine pünktlich einhielt. Und es war zweifellos sehr viel erfüllender, als Geschenke für ihn zu besorgen.
    Andererseits war ihre neue Aufgabe nicht gerade leicht. Emma musste sich daran gewöhnen, unter Zeitdruck zu arbeiten, und das fiel ihr schwer. Sie musste bei ihren Nachforschungen akribisch vorgehen und ihre Ratschläge ganz besonnen erteilen. Auch verlangte Lord Barringer von ihr, dass sie ihre Identität als Mrs. Bartleby geheim hielt, und das stellte eine besondere Herausforderung für Emma dar, denn sie war von Natur aus ein durch und durch ehrlicher Mensch. Lord Barringer wies sie jedoch darauf hin, dass etwas Geheimnistuerei die allgemeine Neugier noch weiter anstachelte, und das konnte ihrem Erfolg nur zugute kommen. Und was noch wichtiger war — sie gab ihre Ratschläge in Gestalt einer würdigen, älteren Dame, und ihre Glaubwürdigkeit konnte darunter leiden, wenn bekannt wurde, dass Emma unverheiratet war. Schließlich wollte niemand den Rat einer alten Jungfer, weswegen sie sich ja auch ursprünglich für ein Pseudonym entschieden hatte. Während sie die Gründe für diese Täuschung verstand, war ihr allerdings nicht ganz klar, wie sie es schaffen sollte, sie weiter aufrecht zu erhalten. Marlowe kannte die Wahrheit und hatte durchaus einen Grund, sie der Öffentlichkeit zu verraten. Doch als Emma Barringer auf dieses Argument aufmerksam machte, hatte er sie auf merkwürdige Weise angelächelt und ihr versichert, dass Marlowe wohl der Letzte wäre, der das Geheimnis enthüllen würde. Obwohl es sie verblüffte, wie der Earl sich dessen so sicher sein konnte, hatte sie eingewilligt, den Mund zu halten. Und so glaubten bald alle, die sie kannten, dass sie bei Lord Marlowe gekündigt und eine neue Stelle als Sekretärin bei der mittlerweile berühmten Mrs. Bartleby angenommen hatte. Emma fühlte sich wegen dieser Unwahrheit nicht wirklich wohl, aber immer, wenn sie daran dachte, dass Marlowe das, was sie schrieb, für Unsinn gehalten hatte, ließen sich ihre Gewissensbisse mühelos bezwingen.
    Mit jeder weiteren Woche, die verging, fiel es Emma ein wenig leichter, ihre Rolle zu spielen. Als sie am Sonntagnachmittag mit den anderen alleinstehenden Damen in ihrem Haus Tee trank, war sie schon recht geschickt darin, Fragen nach der beliebten Autorin zu beantworten, ohne dabei allzu schlimme Lügen aufzutischen. Als sie in Mrs. Morris' eleganten Salon mit den hübschen Tapeten, den Farnpflanzen und den Mahagonimöbeln saß, hörte Emma zu, wie ihre Freundinnen über ihre letzte Kolumne sprachen, und konnte aus erster Hand die Auswirkungen ihres Einflusses miterleben.
    „Mr. Jones hat mir einen Antrag gemacht."
    Leise klirrend wurden Porzellantassen abgestellt, dann folgte ein fünfstimmiger Überraschungsausruf, als die Frauen zur Tür sahen. Soeben war Miss Beatrice Cole eingetreten, die neuerdings immer als Letzte zum Sonntagstee erschien.
    „Meine liebe Beatrice!" Mrs. Morris wandte sich der jüngeren Frau zu. „Das ist in der Tat eine freudige Nachricht!" Beatrice nahm ihren gewohnten Platz in einem Ohrensessel mit schon etwas abgewetztem Bezug aus Brokat ein. Ihr Gesicht leuchtete vor Zufriedenheit, zurückzuführen teils auf wahre Liebe, zweifellos, teils aber auch auf den Triumph, das gefunden zu haben, was Junggesellinnen nicht oft vergönnt war — einen jungen Mann mit Aussichten.
    „Wenn man bedenkt, dass ich das nur Mrs. Bartleby zu verdanken habe ..." Beatrice zog ihre Handschuhe aus und zeigte den anderen stolz ihren filigranen Verlobungsring aus Silber. „Ohne sie wäre ich vermutlich als alte Jungfer gestorben."
    Miss Prudence Bosworth und Miss Maria Martingale verzogen bei diesen Worten leicht das Gesicht,

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