Ich muss Sie küssen, Miss Dove
Baroness. „Er scheint nichts anderes zu tun, als zu arbeiten. Manchmal mache ich mir richtig Sorgen um ihn."
„Das ist seine Vorstellung von Vergnügen", entfuhr es Emma unbedacht.
Die andere Frau sah sie erstaunt an. „Ja, Sie haben es genau auf den Punkt gebracht", sagte sie langsam und betrachtete Emma nachdenklich. „Noch ein Grund für Harrys Kritiker, ihn zu verurteilen, fürchte ich. Die sagen, dass ein Gentleman sich nicht selbst seinen Unterhalt verdienen sollte. Sie würden so etwas für unter ihrer Würde halten."
„Ohne Zweifel sind die meisten dieser Herren hoch verschuldet."
Diese trockene Antwort brachte die Baroness zum Lachen. „Eine äußerst treffende Beobachtung, Miss Dove! Also, nach unserer Rückkehr aus Torquay begeben wir uns direkt für mehrere Wochen auf den Landsitz meines Verlobten in Derbyshire. Ende September reisen wir dann nach Berkshire, um den Herbst in Marlowe Park zu verbringen. Ich schlage vor, Sie besuchen uns dort in der ersten Oktoberwoche. Ich muss Sie allerdings vorwarnen, dass Mama und Grandma Sie endlos bedrängen werden, ihnen endlich die wahre Identität von Mrs. Bartleby zu verraten."
„So etwas bin ich gewohnt", versicherte Emma. „Und ich nehme Ihre Einladung gern an. Wir werden die Köpfe zusammenstecken und ganz unter uns Ihre Hochzeit zur schönsten des ganzen Jahres machen."
„Ach, ich bin so froh, dass ich heute zu Ihnen gekommen bin!" Impulsiv drückte die Baroness Emma die Hände. „Vielen Dank, dass Sie eingewilligt haben, mir zu helfen!"
Nachdem Lady Eversleigh gegangen war, zog Emma sich wieder in ihre Wohnung zurück. Sie setzte sich an den Schreibtisch und fühlte sich noch immer etwas benommen. Von einer Baroness um Unterstützung bei ihrer Hochzeit gebeten zu werden, war eine große Ehre. Sicher, es gab Leute, die Mrs. Bartleby verurteilen und nie wieder etwas von ihr lesen würden, wenn sie erfuhren, worauf Emma sich soeben eingelassen hatte. Doch selbst wenn Lady Eversleigh nicht vorgeschlagen hätte, das Ganze geheim zu halten, wäre Emma ihrer Bitte nachgekommen. Zum ersten Mal war es für sie unwichtig, was andere Leute dachten, und das war wahrscheinlich das Erstaunlichste von allem.
13. KAPITEL
Manche Männer fühlen sich zu tugendhaften Frauen hingezogen. Sollte je einer von Ihnen in diese missliche Lage geraten, verehrte Freunde, seien Sie sich meines vollsten Mitgefühls gewiss.
Lord Marlowes Junggesellenmagazin, 1893
Harry hatte noch nie zu frommem Selbstbetrug geneigt. Der Grund dafür war natürlich, dass er auf sein untrügliches Gespür hörte, und das hatte ihm bislang immer das Richtige geraten. In letzter Zeit jedoch schien Harry sich darauf nicht mehr richtig verlassen zu können. Sein Sinn für das Geschäftliche beispielsweise brüllte ihn geradezu an, er sollte sich von Emma Dove fernhalten. Seine männlichen Triebe allerdings erzählten ihm etwas völlig anderes.
Er begehrte Emma, und ihr aus dem Weg zu gehen änderte daran auch nichts. Das war die schlichte, ungeschminkte Wahrheit.
Harry lehnte sich an seinen Schreibtisch und umfasste die Tischkante. Hinter ihm las Quinn ihm noch einmal vor, was Harry ihm diktiert hatte, doch Harry hörte gar nicht zu. Stattdessen sah er aus dem Fenster und gab es auf, Emma aus seinen Gedanken verdrängen zu wollen.
Emma. Ein süßer Name. Seine Fantasien über sie jedoch waren in letzter Zeit weniger süß. Genau genommen waren sie ziemlich verrucht, und das wurden sie immer mehr, je länger er eine Begegnung mit Emma vermied. Er schloss die Augen und überlegte sich, wie ihr Körper wohl aussehen mochte; mit langen, schlanken Beinen und kleinen, runden Brüsten. Dazu eine Flut langer brauner Haare, die im Sonnenlicht rötlich schimmerten.
„... und deshalb sehe ich mich leider gezwungen, Ihr Gegenangebot abzulehnen ..." Quinns monotone Stimme drang gar nicht bis zu Harry vor.
Emma. Ein hübscher Name. Er atmete tief ein und erinnerte sich dabei an den Duft nach frisch gewaschener Baumwolle und Talkumpuder. Zum vielleicht hundertsten Mal malte er sich aus, ihren Mund zu küssen, und nicht nur den. Er stellte sich vor, wie er ihr die schlichte weiße Bluse abstreifte und Dinge mit ihr tat, die alles andere als anständig waren.
„... Sollten Sie jedoch in Erwägung ziehen, die bereits besprochenen ursprünglichen Bedingungen zu akzeptieren ..."
Gut aussehend hatte sie ihn an jenem Tag in den Victoria Embankment Gardens genannt, so ernsthaft und nüchtern, als läse
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