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Ich muss Sie küssen, Miss Dove

Titel: Ich muss Sie küssen, Miss Dove Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lee
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sie etwas aus dem Katechismus vor, mit großen braunen Augen, die gänzlich frei von Koketterie waren. Unschuldige Augen.
    Er wollte nicht, dass sie unschuldig war.
    Jeder Mann, der nicht verheiratet war und diesen Zustand beibehalten wollte, machte einen großen Bogen um unschuldige Frauen. Er hatte die Erfahrung nur ein einziges Mal gemacht, in seiner Hochzeitsnacht, und er erinnerte sich nur zu gut daran, wie das gewesen war. Eine Katastrophe und eigentlich das passende Omen für den Rest seines Ehelebens.
    Er dachte vierzehn Jahre zurück. Eine halbe Ewigkeit, wie ihm schien. Das ganze Drama mit Consuelo hatte angefangen, als er in diverse Geschäfte mit ihrem Vater eingestiegen war, erst in London, dann in New York. Als Mr. Estravados ihn eingeladen hatte, einen Monat mit ihm und seiner Familie in seinem Sommerhaus in Newport zu verbringen, war Harry gern bereit gewesen zuzusagen. Und so hatte er an einem heißen, schwülen Nachmittag im August auf Rhode Island im Alter von zweiundzwanzig Jahren über das Netz eines Tennisplatzes hinweg in ein Paar dunkle, traurige und unschuldige Augen geblickt. Von da an hatte sein Lebensweg geradewegs in die Hölle geführt.
    Harry starrte auf den Teppich und stellte sich Consuelo vor, wie er sie zuletzt gesehen hatte — auf Knien, die Hände gefaltet, schluchzend und ihn verzweifelt um die Scheidung anflehend.
    Lass mich gehen Harry. Bitte, lass mich einfach gehen.
    „... Hochachtungsvoll, et cetera. Möchte Sie noch irgendwelche Korrekturen vornehmen, Mylord?"
    Die plötzliche Stille holte Harry aus der Vergangenheit zurück. „Hm? Wie bitte?"
    Er drehte sich halb um und merkte, dass Quinn ihn teilnahmslos betrachtete. „Möchten Sie noch Korrekturen an diesem Brief vornehmen, Mylord, oder soll ich ihn so abschicken?"
    Harry hatte kein einziges Wort von dem Brief mitbekommen. „Tadellos. Schicken Sie ihn ab."
    Quinn verschwand, und Harry rieb sich mit der Hand über das Gesicht. Wenn nicht einmal die Erinnerung an Consuelo half, dass er endlich wieder Prioritäten setzte, was dann? Was war nur mit ihm los? In letzter Zeit schienen seine Gedanken sich dauernd selbständig zu machen.
    Vielleicht sollte er sich eine neue Mätresse zulegen, das würde sich sicher positiv auf ihn auswirken. Vielleicht benötigte er aber auch nur eine noch schnellere Art der Erleichterung. Er nahm seinen Hut und verließ eilig das Büro. Als er an Quinns Schreibtisch vorbeilief, rief er dem Sekretär über die Schulter hinweg zu: „Ich nehme mir für den Rest des Tages frei."
    „Aber Mylord, ich denke ... das heißt, ich glaube ..." Harry blieb an der Tür stehen. „Ja, ja", sagte er ungeduldig. „Was ist?"
    Quinn sah ihn unsicher an. „Ich habe hier einen Eintrag, dass Sie in ein paar Minuten hier in Ihrem Büro einen Termin haben." Er blickte nach unten und fuhr mit dem Finger eine Zeile in seinem Notizkalender entlang. „Mr. William Sheffield, Produktionsleiter der Social Gazette , zwei Uhr. Ich glaube, Sie wollten mit ihm über die Verbesserung der Produktionsabläufe sprechen. Ich kann mich natürlich auch irren." Er schaute auf und hatte wieder diesen gequälten Gesichtsausdruck, der Harry so oft bis zur Weißglut reizte.
    Ich glaube, Sie nehmen nur wenig Rücksicht auf andere ... und Ihr Lebenswandel, so kommt es mir vor, ist schrecklich lasterhaft — Ihre Verachtung für die Ehe, Ihre Affären mit Frauen mit äußerst niedrigen Moralvorstellungen ...
    Als ihm plötzlich diese Worte wieder einfielen, kam Harry der Wunsch, ein Freudenhaus zu besuchen und dort ein paar Stunden in den Armen einer Kurtisane zu verbringen, plötzlich gar nicht mehr so verlockend vor. Verzweifelt presste er sich die Hand an die Stirn. Er wollte doch nicht mehr an Emma Dove denken. Sie sich nackt vorzustellen war schlimm genug. Musste er jetzt auch noch ihre Stimme in seinem Kopf hören?
    „Nein, Quinn, Sie irren sich nicht." Harry zog seine Taschenuhr hervor und stellte fest, dass er bis zu dem Termin noch eine Viertelstunde Zeit hatte. „Ich gehe hinüber in den anderen Verlag und suche Sheffield selbst auf", teilte er seinem Sekretär mit, in der Hoffnung, der kurze Spaziergang würde ihm helfen, wieder Herr seiner Sinne zu werden. Er steckte die Uhr wieder ein und wollte eben aufbrechen, da fiel ihm noch etwas ein. „Quinn?"
    „Ja, Mylord?"
    „Danke, dass Sie mich an meine Verpflichtungen erinnern. Es gehört mit zu Ihren Aufgaben dafür zu sorgen, dass ich meine Termine pünktlich einhalte.

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