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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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Verbrechen befasste. Die Ermittlungen waren »auf Kommissionsebene« eingestellt worden, weil es keine Spuren mehr gab, die relevant und Erfolg versprechend erschienen, um einen derartigen personellen und materiellen Aufwand rechtfertigen zu können.
    Aber nicht alle hatten aufgegeben. Horst Kuhnert auch nicht. Einst hatte er sich geschworen, den Mörder zweier Kinder unschädlich zu machen, die im Sommer 1962 in Dinslaken und Walsum einen grausamen Tod gestorben waren. Ihre Namen würde er nie vergessen können: Ilona Dönges. Monika Reimer. Sie erinnerten ihn auch an die vielen Stunden, die er mit den Eltern der Kinder verbracht hatte. Obwohl es Jahre nach den scheußlichen Verbrechen nichts Neues zu berichten gab, hatte er sie immer wieder mal besucht. Ihn trieb das Bedürfnis, den Eltern in ihrer Not, in ihrem Elend beizustehen. Er hatte kein schlechtes Gewissen, und er hatte auch kein Versprechen gegeben; er fühlte sich auch nicht für das Dilemma der Eltern verantwortlich, behauptete er jedenfalls. Doch das waren nur Ausflüchte, wenn ihn seine Frau, die Kinder, ehemalige Kollegen oder Freunde damit konfrontierten.
    Der langjährige Chef der Mordkommission im Essener Präsidium war drei Jahre zuvor pensioniert worden, aber der Kriminaldirektor a. D. schaute regelmäßig bei seinen ehemaligen Kollegen vorbei – und erkundigte sich nach Neuigkeiten in den Fällen »Dönges« und »Reimer«. So manches Mal sah man ihn über alten Akten brüten. Ihn plagte nach wie vor das ungute Gefühl, den entscheidenden Hinweis vielleicht doch übersehen oder überlesen zu haben. Es waren die beiden einzigen Morde, die in seiner Zeit als Leiter des 1. Kriminalkommissariats unaufgeklärt geblieben waren. Aber so tief er sich auch in den Unterlagen vergraben mochte, er wurde einfach nicht schlauer.
    Er konnte nicht ahnen, dass er dem Mörder damals sehr nahe gekommen war – bis auf etwa 500 Meter. Aber der Mann, nach dem sie fieberhaft gesucht hatten, war nicht aus der Straßenbahn ausgestiegen, um zum Friedhof in Alt-Walsum zu gehen, er war einfach sitzen geblieben und weitergefahren. Der 63-Jährige war auch 12 Jahre nach den Morden nicht bereit, die Hoffnung aufzugeben. Irgendwann kommt der Tag!
    Die Krampfadern und Entzündungen in seinem linken Unterschenkel machten ihm auch noch anderthalb Jahre nach der Operation zu schaffen. Er konnte sich zwar frei bewegen, aber es war ihm unmöglich, längere Strecken zu laufen. Immer wieder schwoll sein Bein an, und dann konnte er vor Schmerzen gar nicht mehr gehen. Eine vollkommene Ausheilung stand nicht mehr zu erwarten, sein Unterschenkel blieb dauerhaft geschädigt. Infolgedessen musste er das linke Bein ein wenig nachziehen.
    Er besuchte die Hansens nur noch selten. Rolf und Helga hatten mittlerweile nochmal Nachwuchs bekommen, Johannes war jetzt ein knappes Jahr alt. Sein Verhältnis zu Bianca war merklich abgekühlt, weil sie in den letzten Monaten immer wieder merkwürdige Fragen gestellt hatte: »Warum hast du keine Freundin?« »Warum hast du nicht geheiratet?« »Warum soll ich dich da immer anfassen?« Und dann hatte die nun Achtjährige ihm ihre ganze Verzweiflung entgegengeschleudert, als er sie wieder mal unter dem T-Shirt betatschen wollte: »Lass das! Ich will das nicht mehr!«
    Die Worte seiner Freundin hatten ihn an der verwundbarsten Stelle seiner kranken Seele getroffen. Wieder hatte er sich diesem abgrundtiefen Hass, dieser bedrückenden Ohnmacht, dieser aufbrechenden Verbitterung erwehren müssen. Liebend gerne hätte er ihr seine zittrigen Hände um den zarten Hals gelegt und erbarmungslos zugedrückt – so wie bei den anderen Mädchen und Frauen, die ihn beleidigt und erniedrigt hatten. Nur mit Mühe hatte er sich beherrschen können und war wortlos abgezogen. Den Hansens war sein Verhalten komisch vorgekommen, aber sie hatten nicht nachgefragt, auch nicht bei Bianca.
    1975 war überhaupt kein gutes Jahr für ihn: Die erheblichen Gehbeschwerden behinderten ihn nach wie vor; Susanne, die Sechsjährige aus dem Nachbarhaus Nummer 7, war mit ihren Eltern in einen nördlichen Stadtteil Duisburgs gezogen; es gelang ihm kaum, Kontakt zu anderen kleinen Mädchen aufzunehmen. Und es war ihm noch immer nicht gelungen, ein Kind unbemerkt in seine Wohnung zu locken, um es dort zu töten und zu zerhacken.
    Über Wochen und Monate beobachtete er sie. Um ihr nahe sein zu können, ging er in den Hof hinunter und schraubte an seinen Mopeds herum, obwohl dazu gar kein

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