Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
Anlass bestand. Während sie mit ihrem Bruder oder anderen Kindern spielte, konnte er das Mädchen anglotzen, ohne dabei aufzufallen. Wenn das Kind an einem Geländer herumturnte, konnte er seinen Blick nicht mehr abwenden: Der sich dehnende zarte Körper faszinierte ihn. Wie das wohl schmeckt?
Tanja Bracht wohnte seit ihrer Geburt im Haus Nummer 3 und hatte sich in den vergangenen zwölf Monaten soweit entwickelt, dass sie für ihn interessant geworden war. Aus einem zunächst diffusen Interesse war schließlich Zuneigung geworden, und je häufiger er in ihrer unmittelbaren Nähe sein konnte, desto stärker gebärdete sich sein Verlangen. Er wollte mit ihr zusammenkommen, sie besitzen. Besonders gefielen ihm ihr schlanker Körper und die schulterlangen blonden Haare, die die Vierjährige meistens zu zwei Zöpfen gebunden trug.
Aber es gelang ihm nicht, sich dem Mädchen zu nähern, ohne dass ihre Eltern oder andere Kinder zugegen waren. Er kannte nicht einmal ihren Namen. Nur ein einziges Mal war er ihr allein begegnet, als sie im Treppenhaus an ihm vorbeigelaufen war. Er war so überrascht gewesen, dass ihm vor lauter Aufregung nichts eingefallen war, was er hätte sagen sollen oder hätte tun können.
Er hatte schlecht geschlafen, dabei stark geschwitzt und spürte wieder diesen stechenden Kopfschmerz. Um kurz nach 10 Uhr stand er auf, wechselte seine Unterwäsche und schluckte zwei Schmerztabletten. Er schmierte sich ein Brot mit Honig und trank dazu zwei Tassen Kaffee. Heute konnte er sich den Tag über Zeit lassen, er würde erst gegen 21.15 Uhr mit seinem Moped losfahren müssen, um rechtzeitig zum Beginn der Nachtschicht im Werk zu sein.
Der Kopfschmerz ließ langsam nach. Jetzt fühlte er sich besser. Er wollte etwas lesen und nahm ein Buch aus dem Regal im Wohnzimmer. Der Titel: »Hypnose bei Mensch und Tier.« Dass er genau dieses Buch auswählte, hatte einen triftigen Grund. Er hatte nämlich die Idee entwickelt, sein nächstes Opfer zu hypnotisieren und dann in seine Wohnung zu schleppen. Nach einer halben Stunde klappte er das Buch zusammen und stellte es zurück ins Regal. Er war enttäuscht, denn er wusste immer noch nicht, wie das funktionieren sollte.
Den Rest des Vormittags spielte er Schallplatten ab, deutsche Volksmusik. Gegen 13 Uhr wärmte er sich den Rest Ravioli vom Vortag auf. Mittlerweile hatte sich seine Wohnung wieder aufgeheizt, draußen wurden Temperaturen bis zu 34 Grad gemessen. Erschöpft legte er sich auf die braune Couch und schlief ein.
Nach einer halben Stunde schreckte er aus dem Schlaf hoch. Es musste ein Geräusch gewesen sein, jedenfalls glaubte er, etwas gehört zu haben. Vielleicht sind die Blagen wieder an meinem Mofa zugange! Er ging auf den Dachboden, um sich zu vergewissern. Noch etwas benommen blickte er auf den Hof. Mit einem Mal war er hellwach. Das blonde Mädchen mit den Zöpfen tobte mit ihrem Bruder und einem älteren Mädchen über den Hof, die nackten Kinder sprangen immer wieder in die kleine Plastikbadewanne, um sich abzukühlen. Er ließ Tanja nicht mehr aus den Augen. Während er sie minutenlang anstarrte, schoss ihm immer wieder derselbe Gedanke durch den Kopf: Die schnapp’ ich mir!
37
Er zuckte zusammen. Jemand schellte an der Wohnungstür. Zweimal kurz hintereinander. Schnell nahm er den Deckel, der links neben ihm auf dem Küchentisch lag, und drückte ihn auf den blauen Kochtopf. Niemand sollte sehen können, was für eine Mahlzeit er gerade vorbereitete. Dann schellte es wieder. Diesmal ohne Unterbrechung und mehrere Sekunden lang. Instinktiv spürte er, dass etwas nicht in Ordnung war, dass Gefahr drohte. Ihm wurde heiß und kalt.
Das letzte Mal war in den späten Nachmittagsstunden am Tag zuvor bei ihm geklingelt worden. Ein Junge und ein Mädchen hatten vor der Tür gestanden und nach dem vermissten Kind gefragt. Alle Welt suchte nach Tanja Bracht. Immer noch. Doch nur er wusste, was mit ihr passiert war.
Er schlich leise zur Wohnungstür und horchte. Nichts. Er erschrak fürchterlich, als plötzlich heftig an der Tür geklopft wurde. »Kriminalpolizei. Öffnen Sie die Tür!« Kriminalpolizei. Es dauerte einen Moment, bis er begriffen hatte, wer da vor seiner Tür stand. KRIMINALPOLIZEI! In Sekundenbruchteilen schossen ihm unheilvolle Gedanken durch den Kopf: Die kommen wegen dem Kind. Die kommen, um mich zu holen. Jetzt is’ alles aus!
»Öffnen Sie
Weitere Kostenlose Bücher