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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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Dunkelheit auf seiner Pritsche lag. Dann hatte er seine Ruhe, dann konnte er sich konzentrieren. In den ersten Tagen wollte ihm aber nichts einfallen, er war zu sehr damit beschäftigt, seine monströsen Zukunftsängste zu verdrängen.
    Irgendwann erinnerte er sich an eine Begebenheit, die schon einige Monate zurücklag. Er hatte im Vernehmungszimmer gesessen und während einer Pause ein kurzes Gespräch zwischen dem Chef der Mordkommission und einem anderen Ermittler belauscht. Die Kripobeamten waren auf dem Flur zufällig ins Gespräch gekommen, und er hatte bei angelehnter Tür mithören können. Ein Satz ging ihm nun nicht mehr aus dem Kopf: Ohne Geständnis sind wir aufgeschmissen.
    Immer wieder rief er sich diese Äußerung ins Gedächtnis. Er spürte, dass die richtige Schlussfolgerung ihn der Freiheit einen großen Schritt näher bringen konnte. Und dann hatte er plötzlich eine Idee, wie er es vollbringen wollte. Er musste sich nur noch über einige Details klar werden. Doch schon nach ein paar Tagen glaubte er sich bestens gerüstet. Er hatte sich sogar einen Plan zurechtgelegt, der ihn vollkommen überzeugte. Und er wusste, dass sich bald eine erste Gelegenheit bieten würde. Er schöpfte wieder Hoffnung.

49
                        
                       Die ersten Tage, Wochen und Monate waren schlimm, nur schwer zu ertragen gewesen. Fast jede Nacht war sie aus dem Schlaf hochgeschreckt, von Albträumen gequält. Dann hatten sie diese großen, dunklen, stechenden Augen angestarrt. Unbarmherzig, durchdringend, ihr Innerstes verletzend. Erst viele Jahre später war es Christa Pohlmann gelungen, das Unbegreifliche zu rationalisieren. Sie hatte wie mit einem inneren Sprengsatz gelebt, der sie seelisch zu zerfetzen drohte, den sie nicht hatte entschärfen können.
    Am 22. Juni 1967 war etwas in ihr gestorben, sie hatte nur körperlich überlebt. Kroll hatte ihr an diesem Tag, als er am Ufer eines Baches in Bottrop-Kirchhellen über sie hergefallen war und minutenlang gewürgt hatte, das Urvertrauen in den Menschen und ihre kindliche Unbefangenheit geraubt. Aber sie war wenigstens mit dem Leben davongekommen. Und nach Jahren der sozialen Emigration hatte sie schließlich doch einen neuen Anfang gewagt, sich wieder unter die Menschen gefunden.
    Ihren Mädchennamen »Enders« hatte die 19-Jährige abgelegt und den Familiennamen ihres Mannes angenommen. Sie arbeitete nun als Kindergärtnerin. Ihre Eltern waren die Ersten gewesen, die ihr von der Festnahme und den Geständnissen Krolls erzählt hatten: »Christa, der könnte es doch gewesen sein!« Mit zitternden Händen hatte sie die Zeitung aufgeschlagen und sich das Bild ihres mutmaßlichen Peinigers angesehen.
    Anderthalb Monate später saß sie in einem Büro der Duisburger Mordkommission. Christa Pohlmann wurde eine Reihe Fotos vorgelegt, und sie sollte sagen, ob sich unter den abgebildeten Männern auch jener befand, der ihr vor neuneinhalb Jahren nach dem Leben getrachtet hatte. Ohne zu zögern zeigte sie auf das Bild Krolls. Wenig später schilderte sie ihre damaligen Eindrücke, zunächst stockend, dann sich präzise erinnernd: »Er sprach so leise und hatte eine fremdartige Aussprache. Und diese Augen, dieser stechende Blick, die schmutzigen Hände, das unrasierte Gesicht, das sind Dinge, die ich nicht vergessen habe. Der kam mir auch so schmuddelig vor.«
    Christa Pohlmann hatte Kroll »mit fast hundertprozentiger Sicherheit« wiedererkannt. »Die abstehenden Ohren«, begründete sie ihre Entscheidung, »der Haarkranz und die scharfen Falten links und rechts neben dem Mund, alles passt.« Aber sie schränkte auch ein: »Ich möchte nicht sagen, dass ich hundertprozentig sicher bin, weil ich irgendwo Angst habe, dass ich mich vielleicht nicht mehr richtig erinnere. Es kann ja auch nur eine ganz starke Ähnlichkeit sein.«

50
                        
                       Kroll hatte mehrere Wochen benötigt, um auf alle Fragen eine plausible Antwort zu finden: Wie kam das Mädchen in meine Wohnung? Warum hab’ ich se zerstückelt? Wieso hab’ ich das Fleisch gekocht? Warum hab’ ich davon probiert? Und vor allem: Warum hab’ ich denen das überhaupt erzählt? Er glaubte, nur diesen einen Verdacht entkräften zu müssen, da die Kripo hier erdrückende Beweise vorlegen konnte. Alle anderen Morde würde er pauschal abstreiten können. Und auch für diese Fälle hatte Kroll sich eine

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