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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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auf eine Frau treffen, die er überfallen konnte – davon war er überzeugt. Ihm war durchaus bewusst, dass er ein höheres Risiko eingehen würde, aber er vertraute darauf, dass ihn in der Dunkelheit niemand erkennen konnte. Er würde sein Opfer von hinten anspringen, in den Würgegriff nehmen, in eine dunkle Ecke zerren, dort töten, die Kleider vom Leib reißen, sich an dem Leichnam vergehen – und anschließend unerkannt in der Dunkelheit verschwinden. So wollte er vorgehen. Er war optimistisch, er glaubte an seine Chance.
    Er stand einfach nur da und starrte in die Dunkelheit. Das ging schon eine knappe halbe Stunde so. In der hellbraunen Cordhose und dem blauen Perlonanorak war er so gut wie nicht zu erkennen, und der Torbogen des Zwenkauer Rathauses bot ihm ausreichend Deckung. Die drei Meter hohe Eingangspforte hinter ihm war längst verschlossen worden. Er hatte sich diesen Ort ausgesucht, weil das Rathaus auf dem Mühlberg thronte und er von oben herab Straße und Bürgersteige weithin einsehen konnte – eine ideale Ausgangsposition, um unbemerkt vorbeikommende Passanten beobachten und belauern zu können. Aber außer einem eng umschlungen dahinschlendernden Pärchen, einem älteren Herrn mit Hund und einem Fahrradfahrer hatte er niemand ins Visier nehmen können.
    Er war am späten Nachmittag aufgebrochen. Die genaue Uhrzeit kannte er nicht. Dann aber begannen die Glocken der gegenüberliegenden Laurentiuskirche zu läuten. Er zählte neun Schläge. Es war der 14. Mai 1955.
    Wenig später hörte er Schritte. Aber er konnte niemanden sehen. Er beugte seinen Oberkörper nach vorn und spähte an der Hauswand vorbei nach links. Eine Frau! durchfuhr es ihn. Er hatte die gelockten dunklen Haare erkennen können, sie reichten bis weit über die Schultern. Seine Hände verkrampften sich. Blitzartig trat er einen Schritt zurück. Er klebte förmlich an der kalten Steinwand. Sie sollte ihn nicht bemerken können.
    Sekunden später passierte die Frau das Rathaus auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig. Das Gesicht konnte er nicht ausmachen, sie lief schräg an ihm vorbei, keine 20 Meter entfernt. Sein Herz begann heftig zu pochen. Er musterte sie: dunkle Wildlederjacke mit Kapuze, dunkle Cordhose, schwarze Schaftstiefel. Dich krieg’ ich!
    Als sie ihm den Rücken zukehrte, war es soweit. Er marschierte über den menschenleeren Rathausvorplatz, überquerte die Straße und folgte ihr. Sie drehte sich nicht um, sie ahnte nichts von der tödlichen Gefahr, die sich in ihrem Rücken anbahnte.
    Noch nicht. Obwohl die Straße wie leergefegt war, wollte er den Überfall erst dann beginnen, wenn sie eine Örtlichkeit erreichten, wo er sein Opfer möglichst ungestört malträtieren konnte. Er musste also Abstand halten, um keinen Verdacht zu erregen. Er durfte aber auch nur so weit zurückbleiben, dass er sie bei günstiger Gelegenheit binnen Sekunden überwältigen konnte. Er ließ sie etwa 40 Meter vor sich herlaufen.
    Wenige Minuten später erreichten sie den Friedhof. Während seine Augen die Frau unablässig fixierten, begann er zu überlegen. Hier? Hinter den Büschen sieht mich keiner. Aber wie krieg’ ich die über’n Zaun? Am liebsten hätte er sich sofort über sie hergemacht. Aber die Sache erschien ihm noch zu riskant. Und er traute sich nicht zu, den Körper der Frau über den Zaun zu wuchten. Zu hoch. Ein unüberwindbares Hindernis.
    Die Frau bog nach links ab in Richtung Krankenhaus. Unbekümmert setzte sie ihren Weg fort. Er forcierte das Tempo, verringerte den Abstand. Er wurde ungeduldig. Ein paar hundert Meter weiter konnte er auf der rechten Straßenseite einen größeren Parkplatz ausmachen. Dort standen auch mehrere Autos, die im fahlen Licht der Straßenlaternen kaum zu erkennen waren. Er ging noch schneller. Lange hatte er nicht nachdenken müssen. Hier! Er wollte sie überwältigen, zwischen zwei parkende Wagen zerren. Nur noch ein paar Meter, dann würde er sie packen. Er hatte nur noch Augen für sie. Jetzt!
    Auf jenes Geräusch, das ihn hätte zurückhalten müssen, reagierte er nicht mehr.

13
                        
                       Es war stockfinster. Nur gelegentlich wurde die nächtliche Stille durch Hundegebell zerrissen. Der muffig-faulige Gestank machte das Atmen schwer. Nur durch einige winzige Löcher wurde der Raum belüftet. Er konnte nicht einschlafen, er war niedergeschlagen, zu aufgeregt. Und er machte sich Sorgen.
    Hab’ ich doch

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