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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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realisierte er indes nicht. Er war selbstgerecht, undankbar, er haderte mit seinem Schicksal. Ich mach’ immer nur die Dreckarbeit. Immer ich! Seine Unzufriedenheit begann wie ein Krebsgeschwür zu wuchern.
    Von Woche zu Woche wurde er aggressiver. Der Mastbetrieb bot keinerlei Abwechslung. Schuften, essen, schlafen – tagein, tagaus. Die Stallungen erschienen ihm wie ein düsterer Moloch, der erbarmungslos alle seine Körperkräfte verschlang. Er war mitunter so müde und ausgelaugt, dass er sich nicht einmal in seine bizarren Tagträume flüchten konnte.
    Mitte September erreichte ihn ein Brief, der alles verändern sollte. Er war von Elisabeth. Sie schrieb von ihrer bevorstehenden Hochzeit, und sie hatte eine Frage formuliert, mit der er nicht gerechnet hatte. Er war perplex. Und gerührt. Ich? Ich soll nach Hamburg kommen? Er las den Brief ein zweites Mal. Kein Zweifel. Je länger er diesen Gedanken zuließ, desto klarer erschien ihm die Konsequenz, die sich daraus ergeben würde. Die sehen mich hier nie wieder! NIE WIEDER!
    Renate Göbel war jetzt anderthalb Jahre tot. Er hoffte, dass die aufgegeben hatten. Jetzt war der Weg frei, er würde in seine Heimat zurückkehren können. Und genauso kam es. Die Hochzeit der eigenen Schwester wurde von den DDR-Behörden als Ausreisegrund akzeptiert. Am 14. Oktober 1956 erreichte er Hamburg.
    Während der Hochzeitsfeier seiner Schwester wurden sie einander vorgestellt. Der erste Kontakt war zaghaft. Nur zögerlich gab er ihr die Hand – weil es sich so gehörte. Und nur deshalb. Zu mehr konnte er sich nicht durchringen. Er hatte zu viel Respekt. Er war unsicher. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Auch sie blieb ähnlich zurückhaltend: keine Umarmung, kein Kuss – nur ein flüchtiger Händedruck. Wiederholt war sie vorgewarnt worden: »Das is’n komischer Kauz.«
    Aber Anneliese, seine Stiefmutter, erkannte schnell, dass er vor allem Hilfe brauchte, Zuwendung. Der »Bursche« tat ihr Leid. Die 52-Jährige sorgte dafür, dass er wieder im Hause seines Vaters wohnen durfte. Regelmäßig suchte sie das Gespräch. Er mochte das, er fühlte sich in ihrer Gegenwart wohl. Anneliese schimpfte nicht; auch dann nicht, wenn er mal etwas verbockt hatte.
    Entlohnt wurde er von einem Bauern in Bottrop-Kirchhellen, der ihn als Stallburschen eingestellt hatte. Dort wäre er gerne länger geblieben, aber nach zwei Monaten war er es satt, von dem älteren Knecht bevormundet und drangsaliert zu werden.
    Seine Stiefmutter wusste Rat: »Die bei Mannesmann suchen Leute.« Gemeint war die Mannesmannröhren-Werke AG, ein für die damalige deutsche Ruhrwirtschaft typischer Montankonzern. Er ging hin, wurde im »Verwaltungshaus« vorstellig – und bekam tatsächlich eine Stelle als Stahlwerker am Hochofen im werkseigenen Hüttenwerk in Duisburg-Huckingen. Bis Anfang August 1958 bekam er dort monatlich 2000 Mark netto. Dann wurde er geschasst. Die Begründung: »Arbeitsmangel«.
    Fortan blieben Gelegenheitsjobs alles, was für ihn zu bekommen war: Er schleppte als Postarbeiter so lange Pakete, bis ein Furunkel am rechten Fuß ihn zur Aufgabe zwang; er reparierte bei einer Schrottverwertung Bergbaustempel, bis das Unternehmen den Standort nach Süddeutschland verlegte; er ging einem Landwirt in Duisburg-Huckingen zur Hand, bis der ihn nicht mehr wollte.
    Ende April 1959 kam er wieder bei Mannesmann unter, diesmal als Hilfsarbeiter. Er verließ sein Elternhaus und bezog ein Zimmer im firmeneigenen Arbeiterhotel. An seinem neuen Arbeitsplatz wurde er überall dorthin gesteckt, wo keine Qualifikationen vonnöten waren, sondern ausschließlich Handlangerdienste erwartet wurden, Dreckarbeit zu erledigen war – erst in der Feineisenstraße, dann auf dem Brammenplatz, später im Kaltwalzwerk. Er war stets derjenige, der fegen, putzen, schrubben, für die anderen Sprudel oder sonst was besorgen musste. Er sprach nur, wenn er gefragt wurde, wenn er etwas nicht wusste, wenn er etwas nicht verstanden hatte. Und immer, wenn sich jemand mit ihm einen üblen Scherz erlaubte, lächelte er nur still in sich hinein.
    Nach Schichtende verkroch er sich häufig in seinem Zimmer, schlief ein wenig oder döste, wurde mit der Zeit aber zunehmend unruhiger. Denn sein unheimlicher und unbefriedigter Trieb gebärdete sich wie ein hungriges Raubtier. Aus dem Dilemma der Ereignislosigkeit flüchtete er sich regelmäßig in das Ritual der Inszenierung, der Illusion. In Gedanken fiel er über unzählige junge

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