Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
gegangen, weil der Mann nicht nur »Vogel« hieß, sondern auch perfekt Vogelstimmen imitieren konnte. Und sie erinnerte sich daran, dass der Mann sich als »ehemaliger Volkspolizist« ausgegeben hatte, der vor sechs Jahren aus der DDR geflüchtet war. Nur angezeigt hatte sie die Tat nicht. Ihre Begründung: »Mir hätte doch sowieso keiner geglaubt!«
Die Mordkommission hatte jetzt eine heiße Spur. Denn schnell stellte sich heraus, dass es tatsächlich jemanden gab, der alle Suchkriterien erfüllte. Es war der Arbeiter Hans-Günther Vogel aus Walsum, den viele regelmäßige Kneipengänger in der Duisburger Altstadt nicht mit Namen kannten, aber genau wussten, wer gemeint war, wenn vom »Zwitscherer« gesprochen wurde. Der 29-Jährige wurde am 28. Juni in seiner Firma, wo er als Lagerist arbeitete, kassiert.
In den stundenlangen Vernehmungen bestritt Vogel nicht, den Abend mit Frieda Pfundner verbracht zu haben: »Es stimmt, ich habe mit ihr ein paar Mal getanzt, und wir haben auch längere Zeit gequatscht. Wir haben uns später auch geküsst, ein bisschen gefummelt, aber sonst ist nichts passiert.« Nachdem sie das Lokal »Sonne« verlassen hätten, wären sie getrennte Wege gegangen. Vogel gab weiter an, um kurz nach 1 Uhr mit dem Moped zu seiner Tante nach Rheinberg gefahren zu sein. Leidenschaftlich bestritt er, Frieda Pfundner getötet zu haben: »Ich kannte sie doch kaum, warum hätte ich sie denn umbringen sollen!«
Seine geschiedene Frau sah das etwas anders: »Das ist ein brutaler Typ. Dem traue ich alles zu!« Eng wurde es für Vogel, als die Tante sein Alibi nicht bestätigen wollte. Angeblich hatte sie den Verdächtigen »zuletzt vor anderthalb Monaten« getroffen, beim Geburtstag seiner Mutter. Als das Ergebnis der Blutuntersuchung vorlag, schienen die Versatzstücke dieses Verbrechens endlich ein Bild zu ergeben: Vogel hatte tatsächlich die Blutgruppe A. Demnach sprach alles dafür, dass er mit dem Opfer kurz vor dessen Ermordung Intimkontakt gehabt hatte. Theoretisch hätte es allerdings auch jeder andere Mann gewesen sein können, sofern er die Blutgruppe A aufwies. Aber auch alle anderen Indizien wiesen auf Vogel hin – und die erbosten und verängstigten Bürger von Rheinhausen verlangten nach rascher Aufklärung.
Auch die Staatsanwaltschaft in Moers erkannte einen »dringenden Tatverdacht«. Demnach überwogen die belastenden Indizien »erheblich«. Der Amtsrichter war derselben Auffassung und unterschrieb den Untersuchungshaftbefehl. Der »Beschuldigte« wurde ins Gefängnis gesteckt. Hans-Günther Vogel war jetzt ein mutmaßlicher »Lustmörder«, der »zur Befriedigung des Geschlechtstriebs« Frieda Pfundner getötet haben sollte.
Die ersten Tage waren schlimm gewesen, kaum auszuhalten. Er hatte sich auf seinem Zimmer verkrochen, nur zum Essen war er in die Kantine des Wohnheims gegangen. Und dort hatte es nur ein Thema gegeben: den »Sexmord«. Schließlich war das Opfer keine fünf Kilometer vom Arbeiterhotel entfernt getötet worden. So etwas passierte sonst nie, darüber musste geredet werden. Das permanente Palaver vom »Aufhängen«, »Kastrieren« oder »an die Wand stellen« zerrte an seinen Nerven. Sie wussten es nicht besser, aber sie meinten ihn.
Es war der 1. Juli, als er in der Kantine am Nachbartisch ein Gespräch belauschte, dessen Inhalt ihm höchst seltsam vorkam. Drei Männer diskutierten über »das Schwein«, das die Frau umgebracht haben sollte. Er konnte nicht alles mithören, aber er verstand so viel: Ein Mann war vor zwei Tagen von der Polizei geschnappt worden, und man glaubte, dass er die Frau umgebracht hatte.
Er verstand das nicht. Warum hatte die Polizei den geholt? Wie war das möglich? Lange dachte er darüber nach, aber er fand nur eine Erklärung: Die haben den so lange verkloppt, bis der weich war. Nur so konnte es gewesen sein. Er war ungeheuer erleichtert, aber schlagartig wurde ihm wieder bewusst, was ihm blühte, würde man ihn holen. Aber auch diese Angst zog an ihm vorüber wie ein Schwarm Wildgänse auf dem Weg ins Winterquartier.
In der Folgezeit fand er wieder die notwendige Ruhe, um sich mit dem Mord an der Frau auseinander zu setzen. Obwohl er sein Ziel nicht erreicht hatte, ließ er sich von seinen Erinnerungen immer wieder einfangen: wie sie ihm plötzlich entgegengekommen war; wie er sie gefragt hatte, ob sie mit ins Gebüsch käme; wie er ihr mit der Faust gegen den Kopf geschlagen hatte; wie sie benommen zusammengesunken war; wie
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