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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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Walsumer Bürger befand sich im emotionalen Ausnahmezustand, die Westdeutsche Allgemeine Zeitung berichtete von »panischer Angst« vieler Eltern. Die forderten lautstark Schutz für ihre 5933 Schulkinder, allerorts fürchtete man den mysteriösen Unbekannten. Wie ein Flächenbrand verbreitete sich die Angst vor neuen Untaten des »Monsters«, nicht nur in den Nachbarstädten Walsum und Dinslaken. Und die kritischen Zwischenrufe, die man in Kreisen der Kripo gar nicht gerne hörte, wurden immer lauter: »Was machen die eigentlich?«
    Die Essener Kriminalisten unterteilten ihre Ermittlungen in drei Bereiche: Spurensuche und -auswertung, Öffentlichkeitsarbeit, personenbezogene Maßnahmen. Berge von Flugblättern, Plakaten und Handzetteln wurden im gesamten Ruhrgebiet verteilt, in beiden Mordfällen hatten der Regierungspräsident, die Staatsanwaltschaft und die Kreisverwaltung eine Belohnung von insgesamt 13000 Mark ausgesetzt – damals eine beträchtliche Summe.
    Die Ermittler versuchten den Kreis der potentiell Verdächtigen einzuengen. Aus den näheren Tatumständen schlussfolgerten sie, dass der Mörder von Ilona und Monika pädophil sei, wegen anderer Sexualdelikte vorbestraft sein dürfte und sich im Gebiet der Tatorte gut ausgekannt haben musste. Niemand wollte annehmen, dass der Täter die abgelegenen Feldwege zufällig ausgewählt hatte. Es musste also in erster Linie ein »alter Bekannter« aus der Region sein.
    Auch die möglicherweise wertvollen Erkenntnisse aus den Verfahren in Neuss und Köln wurden berücksichtigt. Dem elfjährigen Jungen, der den Mörder in Neuss auch längere Zeit von vorn gesehen hatte, wurden stapelweise Fotos vorgelegt, die »Sittentäter« im Alter von 20 bis 45 zeigten. Anschließend musste er die Bilder solcher Männer begutachten, die »einschlägig in Erscheinung getreten« waren: Mörder und Totschläger, die ihre Opfer »zur Befriedigung des Geschlechtstriebs« getötet oder dies versucht hatten. Die Beamten machten sich während der einstündigen Prozedur eifrig Notizen. Am Ende waren es fünf Namen, die auf einer Liste standen. Die Fotos dieser Männer hatte der Junge besonders lange betrachtet und auf Nachfrage mit »vielleicht« geantwortet. Wieder hatten die Ermittler neue Spuren – nur handfeste Beweise, die fehlten immer noch.
    Am 21. Juni erschütterte die Meldung eines weiteren Verbrechens die ohnehin schon verängstigte Bevölkerung an Rhein und Ruhr. Die Düsseldorfer Nachrichten empörten sich: »Nicht zu fassen: Neuer Kindermord!« Einen Tag zuvor war die Leiche eines Mädchens in Köln-Porz aus dem Rhein geborgen worden. Arbeiter hatten den toten Körper entdeckt, als sie am Ufer ein Schiff entluden.
    Die Kripo vermutete, dass es sich bei dem Opfer um die fünfjährige Ingeborg Anders aus Essen handeln musste, die seit dem 19. Juni vermisst wurde. Zudem lagen den Behörden zu dieser Zeit sonst keine Anzeigen zu »abgängigen« Kindern vor.
    Ihr Vater konnte den nackten Leichnam nicht zweifelsfrei identifizieren. Zunächst erklärte der 42-jährige Autohändler beim Anblick des Kindes: »Ja, das ist meine Ingeborg!« Wenig später aber war er sich »nicht mehr sicher«, weil er meinte, seine Tochter sei »viel größer« als die Tote. Deshalb mussten die Mutter und die beiden Geschwister Ingeborgs aus Essen geholt werden, die noch zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankten. Auch ihnen wurde der Leichnam gezeigt. Fassungslos und unter Tränen bestätigten alle die erste Einschätzung des immer noch zweifelnden Vaters.
    Die Obduktion ergab, dass Ingeborg missbraucht und von ihrem Mörder erwürgt worden war. Als »dringend tatverdächtig« galt Ingo Kappes, ein Arbeitskollege von Ingeborgs Vater. Der 22-jährige Schweißer aus Essen-Heisingen hatte Ingeborg am Dienstag von zu Hause abgeholt, angeblich, um mit der Kleinen »eine Spritztour zu machen«. Mit dem Einverständnis ihrer Mutter war Kappes mit dem Mädchen in seinem gelben Opel-Rekord 61 davongefahren – das letzte Lebenszeichen von Ingeborg und ihrem Begleiter.
    Jetzt wurde im gesamten Bundesgebiet fieberhaft nach dem Wagen mit dem Kennzeichen »E-AJ 546« gefahndet. Acht Stunden nach Entdeckung der Leiche meldete sich ein Tankwart aus Ittenbach im Siebengebirge bei der Polizei. Kappes hatte bei ihm getankt, aber nicht bezahlen können. Als Pfand war von dem schlanken 1,90-Meter-Hünen ein Reserverad zurückgelassen worden. Die Kripo erweiterte die Großfahndung jetzt auch auf das benachbarte

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