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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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ich’s mir anders überleg’!«
    Er drehte sich um und rannte so schnell er konnte. Erst als er das Wald- und Buschgelände hinter sich gelassen hatte, traute er sich stehenzubleiben. Er war vollkommen außer Atem, fix und fertig. Vorsichtig drehte er sich um. Niemand da. Gott sei Dank! Es war vorbei.
    Als er einige Minuten verschnauft hatte, ging er nach Hause. Immer noch in Gedanken. Er schwor sich, beim nächsten Mal noch vorsichtiger zu sein.
    Zu Hause angekommen, legte er sich aufs Bett. Obwohl ihm der Schreck noch in den Gliedern saß, begann er das Erlebte fortzuspinnen. In Gedanken tat er mit der Frau nun all das, was der Mann mit ihr getan hatte – und darüber hinaus viele Dinge, die der Mann niemals getan hätte, zu denen er nicht fähig gewesen wäre. Er aber genoss es.
    Das Erlebte hatte für ihn zwei Konsequenzen: Er würde auch weiterhin Liebespaaren auflauern, aber er wollte sich nicht mehr mit der Rolle des Beobachters begnügen. Und er hatte gelernt, dass er den Begleiter der Frau würde beseitigen müssen, um seine Phantasien blutige Realität werden zu lassen. Er zog die obere Schublade des Nachttischschränkchens auf, nahm einen Gegenstand in die Hand und betrachtete ihn längere Zeit. Und dann bekam er allmählich eine Vorstellung davon, was und wie er es anstellen würde.

24
                        
                       Seit anderthalb Stunden saßen sie nun in der »Faßschenke«, einer Kneipe im Zentrum Duisburgs. Anke Gladisch hatte allen Grund zum Feiern. Nur wenige Tage nach ihrem 22. Geburtstag hatte die Kindergärtnerin ihre Führerscheinprüfung bestanden. Roman Berthold, ihr Freund, hatte das Lokal vorgeschlagen. Es war nur zwei Straßen von seiner Firma entfernt. Der 25-jährige Maschinenbaupraktikant, der unbedingt Ingenieur werden wollte, besaß kein Auto und wohnte noch bei seinen Eltern – genauso wie seine Freundin.
    Das ausgelassen feiernde Paar hatte sich vor anderthalb Jahren auf einer Geburtstagsparty kennen gelernt. Sie schätzte besonders seinen Humor, sein Einfühlungsvermögen und seinen Realismus. Nur mit seinem überschießenden Temperament mochte sie sich nicht anfreunden. Sie hatte es ihm nicht gesagt, aber sie dachte ernsthaft darüber nach, mit Roman Kinder zu haben. Irgendwann mal.
    Er hatte sich sofort unsterblich in sie verliebt, aber lange Zeit geschwiegen. Anke war ganz nach seinem Geschmack: zärtlich, warmherzig, lebensfroh, schlagfertig. Und sie war ungemein hübsch. Seit ein paar Monaten verspürte der groß gewachsene junge Mann den Wunsch, mit Anke eine Familie zu gründen. Er hätte gerne um ihre Hand angehalten, aber er glaubte, es sei noch zu früh, und er hatte Angst, sie könnte ihn abweisen.
    Während Roman an diesem Abend kräftig becherte, beließ Anke es bei zwei Gläschen Weinbrand. Sie war mit ihrem neuen Wagen gekommen, einem blauen VW-Käfer. Das Geld hatte sie von ihren Eltern geliehen bekommen, zur Hälfte aber auch angespart.
    Sie saßen im hinteren Teil der Kneipe, dort, wo sie einigermaßen ungestört sein konnten. Heimlich tauschten sie unter dem Tisch Zärtlichkeiten aus. Da beide keine eigene Wohnung hatten, mussten sie notgedrungen in schummrigen Lokalen schmusen oder im Auto. Denn beide durften den anderen noch nicht bei sich im Zimmer übernachten lassen.
    Roman machte einen Vorschlag: »Sollen wir wieder nach Großenbaum fahren? Du weißt schon.«
    Anke ergriff seine Hand: »Bist wohl mutig geworden, wie?«
    »Quatsch!« Roman wurde etwas ungehalten.
    »Reg dich nicht auf, Schatz. Wir fahren gleich.«
    Um kurz nach 21 Uhr verließen sie die Kneipe – eng umschlungen.
    Es waren keine Ameisen in seinem Bett, aber er glaubte zu spüren, dass reichlich Getier über seine Brust krabbelte. Er kratzte sich erst gar nicht, weil er aus Erfahrung wusste, dass das Kribbeln sich so nicht würde beseitigen lassen. Er stand auf und ging ans Fenster. Es dämmerte bereits.
    Die Erinnerung an das Liebespaar, das er genau eine Woche zuvor ausgespäht hatte, befeuerte seine Phantasie und weckte das Bedürfnis. Er musste etwas dagegen unternehmen. Nach kurzem Überlegen entschied er, nicht mehr mit Bus oder Bahn zu fahren. Er wollte genau dort die Fährte aufnehmen, wo er beim letzten Mal verjagt worden war. Obwohl seine Strategie vorsah, niemals in der Umgebung seiner Wohnung einem Opfer aufzulauern, ließ er diesen ehernen Grundsatz an diesem Abend nicht gelten. Wenn es dunkel is’, erkennt mich doch

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