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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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Bottroper Kennzeichen. Der Wagen war unweit des Tatortes in der Straße »Vossundern« von mehreren Passanten gesehen worden. Etwa zehn Minuten vor der Tat sollte das Auto dort gestanden haben und Christa später, als sie nach Hause taumelte, langsam hinterhergefahren sein.
    Die Ermittler hatten darauf spekuliert, dass aufgrund der sehr präzisen Beschreibung des Täters schon bald der entscheidende Hinweis kommen werde. Jemand, der so aussah und so sprach, musste doch irgendwo irgendjemandem aufgefallen sein. Aber die wackeren Beamten konnten nicht ahnen, dass »ihr Mann« nur etwas sagte, wenn er gefragt wurde, dass er als Person oder Persönlichkeit kaum wahrgenommen wurde, dass er bei seinen Jagdausflügen jeden Kontakt vermied. Und so wurde es nichts mit der »schnellen Aufklärung«, die man den Bottroper Bürgern in Aussicht gestellt hatte.
    Für ihn war das normal. Routine. Wenn er unbeobachtet blieb und das Opfer als lästigen Zeugen beseitigte, drohte keine Gefahr – die simple Strategie eines einfältigen Mannes. In Kirchhellen war ihm niemand begegnet, und er glaubte, das Mädchen erwürgt zu haben. Alles wie gehabt. Dass Christa überlebt hatte, wusste er nicht. Er las immer noch keine Zeitung, und es interessierte ihn auch nicht, was die Polizei unternahm.
    Eine andere Vorstellung beschäftigte ihn umso mehr. Christa spielte dabei die Hauptrolle, er führte Regie. Als Requisiten genügten ihm ein Brotmesser mit Wellenschliff, ein Kartoffelschälmesser und der Spülstein in seinem Zimmer. Aber es wurde regelmäßig nicht mehr als eine Sequenz gedreht, vielleicht zwei. Denn der Beginn dieser blutrünstigen Selbstinszenierung war zumeist auch schon ihr Ende. Weiter kam er nicht, die überschießende Erregung konnte er genauso wenig zurückhalten wie kurz vor der Vereinigung mit einer Frau.
    Dieses Horror-Kino im Kopf faszinierte ihn. Aber wenn der Film vorbei war, bekam er ein schlechtes Gewissen – obwohl er tatsächlich nichts gemacht hatte. Doch schon der Gedanke daran erschien ihm verwerflich, und er konnte sich selbst so weit und so gut einschätzen, dass er befürchten musste, auch diese Phantasie zu realisieren. So war es bisher immer gewesen, so würde es immer sein.
    Genauso wie ein halbes Jahr zuvor, als er sich ein weiteres Opfer genommen hatte. Nach Einschätzung der Wuppertaler Kripo hatte sich der Sexualmord an dem kleinen Mädchen so zugetragen: »Am 22.12.66, nach 14.00 Uhr, wurde die 5jährige Bettina Mertens in Wuppertal-Barmen von einem Unbekannten entführt. Um diese Zeit befand sich das Kind auf dem nur 300 Meter langen Weg von den Großeltern zur elterlichen Wohnung. Ob das Mädchen dort angekommen ist, steht nicht fest, da sich alle Familienangehörigen zur Rückkehrzeit außer Haus befanden.
    Am 26.12.1966 wurde die vollständig bekleidete Leiche des Kindes an einem Bach bei Oberfeldbach in der Gemeinde Hückeswagen 20 Kilometer vom Entführungsort entfernt aufgefunden. Nach gerichtsärztlichem Befund ist Bettina Mertens Opfer eines Sexualverbrechens geworden. Sie hat schwere Genitalverletzungen davongetragen. Im Anschluß an die Unzuchtshandlung hat der Mörder das Kind ertränkt.«
    Er hatte das Mädchen erst ausgiebig gewürgt und dann lebend in den Bach geworfen, um es ertrinken zu lassen. Wochenlang war er von der fixen Idee besessen gewesen, mal zu sehen, wie eine im Wasser liegt und untergeht. Nicht erst seit diesen Tagen war ihm bewusst geworden, dass er all seine Mordpläne konsequent verfolgen würde. Er war zu allem bereit, er war zu allem fähig.
    Nach acht Tagen wurde Christa Enders aus dem Krankenhaus entlassen. Ihre körperlichen Blessuren waren abgeheilt, die seelischen Wunden nicht. Fast jede Nacht schreckte sie aus dem Schlaf hoch. Dann war er über ihr. Sie hörte ihn etwas nuscheln, sah die groben Hände, wie sie nach ihr griffen. Es dauerte immer eine Weile, bis sie realisierte, dass alles nur ein böser Traum gewesen war. Aber auch das half nicht weiter – die Angst blieb ihr ständiger Wegbegleiter.
    Aus der »Kichererbse« wurde ein misstrauisches und ängstliches Mädchen. Vier Jahre lang sollte Christa nachts schreien, vier Jahre lang würde ihre Mutter sie beruhigen und verzweifelt versuchen, den Albtraum mit Liebe aus der Welt zu befördern. Erst nach dieser qualvollen, schier endlos erscheinenden Odyssee sollte sie wieder Vertrauen zu Menschen aufbauen.

29
                        
                       Die

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