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Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Titel: Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Rautenberg
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davon nichts mit. Er kuschelt sich an mich und flüstert: » Vielleicht müssen wir einfach auch bald ein Baby machen!«
    Gruß ans Universum: Das kriegst du zurück!

September
    Achtung, Baby!

Gruppenbild mit Pflaster
    Donnerstag, 1 . September, um 08 : 23 Uhr
    So ganz los lässt mich– trotz aller angebrachten Ablehnung– der Gedanke dann aber doch nicht. Warum kommt Konrad ausgerechnet jetzt auf die Idee, ein Baby mit mir machen zu wollen? Drückt auch nur eine einzige Faser meines Körpers aus, dass ich gerne schwanger werden würde? Nein! Ganz im Gegenteil, letzte Woche habe ich aus lauter Frust, dass meine Mädchenclique bald zur Müttermafia mutiert, sogar ein halbes Kilo abgenommen. Sende ich hormonell unterschwellige Schwingungen? Auch nicht! Ich futtere jeden Morgen mit Enthusiasmus meine Pille, als wär’s die Henkersmahlzeit. Selbst Sex habe ich in dieser Woche nicht mehr gehabt– auch wenn es mich gelüstete–, und das alles nur vorbeugend, damit auf gar keinen Fall irgendwas schiefgeht im Plan » Wir bekommen k ein Kind«.
    Ich brauche nämlich auch gar keins. Ich bin selbst noch eins. Ich komm ja mit meinem Leben gerade mal so klar, was brauche ich da Nachschub? Und um Konrad muss man sich auch alle Naselang kümmern.
    » Kannst du mir bitte meinen Rasierapparat zum Flughafen bringen, ich hab vergessen, ihn einzupacken.«
    » Ich glaube, Sydney hat neben das Katzenklo gemacht. Und du sagtest ja, du wolltest dich kümmern…«
    » Wie bedient man gleich doch die Waschmaschine?«
    » Bitte bring noch den Brief zum Finanzamt, ja? Sei ein Schatz, er liegt irgendwo beim Altpapier, muss ihn wohl…«
    Und so weiter und so fort.
    Ich brauche wirklich kein Kind. Ich habe Konrad. Und falls der eines Tages nicht mehr ausreicht, bin ich mir selbst genug.
    Trotzdem zieht es mich immer wieder zur verbotenen Schachtel. Das ist eine kleine Kiste aus Pappe, in der Konrad allerlei sentimentalen Krimskrams aufhebt. Zum Beispiel seine ersten Turnschuhe, sein erstes Matchboxauto, das Eintrittsticket zu seinem ersten U2-Konzert usw.
    Und Kinderbilder.
    Ich blättere die Fotos durch. Natürlich nur interessehalber. Ich kenne Konrad, seit wir in der Fünften waren und ich ihn in der großen Pause beim Gummitwist beschissen habe. Ich weiß, wie Konrad in seiner Pubertät aussah (fürs Protokoll: schlimm). Aber wie sah Babykonrad aus?
    Ich wühle durch die Bilder und finde einige Aufnahmen aus der Grundschulzeit. Ein Gruppenfoto. Zwei Dutzend Kinder in sehr schlimmen Neunzigerjahre-Klamotten. Oversize-Minnie-Maus-Pullover und Leggins. Möhrenhosen und Polohemden in Bonbonfarben. Sascha-Schwänzchen. Haarreifen. Zahnspangenbeutel um den Hals, Scout-Ranzen auf dem Rücken. » Klasse 3a«, steht auf einer kleinen Tafel, die ein Junge in der Hand hält. Uih, der sieht schlimm aus! Ein gelb-rot-blaues Brillengestell, mit praktischem Bändchen im Nacken, damit die Brille nicht verloren geht. Und unter dem linken Brillenglas: ein Pflaster.
    Diese Pflasterkinder haben mir früher immer ganz schön Angst eingejagt. Die mussten sich wochenlang ein Auge abkleben, weil sie irgendeine Sehstörung hatten. Damals dachte ich, sie hätten ein faules Auge, irgendwann habe ich aber mal erfahren, dass das wohl was mit der unterschiedlichen Sehstärke der Augen zu tun hat. Um das schlechtere Auge nicht von der Weiterentwicklung auszuschließen, wird das bessere Auge abgeklebt. Und dann sehen die Kinder eben aus wie echte Deppen: Pflaster auf dem Auge, Nasenfahrrad, und meistens kam dann irgendwann noch eine Zahnspange dazu. Der Gips am Arm war logische Konsequenz, weil die Pflasterkinder von den Normalkindern gerne verprügelt wurden. Vorzugsweise kam der Angriff übrigens von der abgeklebten Seite.
    Ach ja, Kinder sind was Herrliches.
    Konrad kann ich trotz intensiver Suche auf dem Gruppenbild nicht finden. Ich blättere weiter. Komisch, da ist schon wieder der Pflasterjunge, diesmal als Einzelbild. Er hat seinen Kopf auf einen Arm aufgestützt, der andere liegt auf dem Tisch vor seiner Brust. Der selbst gestrickte Pullover, in den seine Rabenmutter ihn gesteckt hat, sieht selbst aus zwanzig Jahren Distanz kratzig aus. Neben ihm steht wieder diese kleine Tafel. Und auf der steht…
    Konrad Paulsen.
    Mein Freund war ein Pflasterkind!
    O Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Tick-Tack
    Sonntag, 4 . September, um 16 : 57 Uhr
    Mona war heute zu Besuch. Ich durfte in meiner eigenen Küche nicht rauchen und musste Ersatzkaffee aus

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