Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
sein, wie lange Mona ihren Pätrick schon kennt, wie alt sie ist oder wie befristet ihr Arbeitsvertrag. Und ich bin ja wohl die Letzte, die sich darüber den Kopf zerbrechen muss, ob diese Beziehung die Elternzeit überlebt. Oder?
Am Mittwochabend kam ich mir vor wie ein Fremdkörper. Die einzige Freundin, die nicht ausflippt, weil Nachwuchs ins Haus steht. Die Einzige, die heult, weil sie schockiert und traurig ist. Und die Einzige, die auf den Schreck spontan eine rauchen will.
» Lass das!«, sagte Tine mit einem Kopfschütteln und nahm mir die Packung weg.
Ach ja. Richtig. Das wird jetzt also auch anders. Keine versoffen-verrauchten Abende in Monas Küche mehr. Stattdessen Gespräche über Mutterpässe, Wickelkommoden, Windpocken und Babydurchfall. Keine Nachmittage im Café mehr, an denen wir über Gott und die Welt, unsere Vergangenheit und unsere rosige Zukunft sinnieren. Die Zukunft ist jetzt, und sie ist sechs Wochen alt und hat sich in Monas Gebärmutter häuslich eingerichtet. Fünf Sterne all inclusive, Kost und Logis frei.
Ein guter Psychologe würde mir jetzt sagen: Du hast Angst vor Veränderung.
Und als anständiger Psycho würde ich dann antworten: Ja, stimmt. Was ich nicht kenne, macht mich nervös. Es ist doch schön so, wie es ist. Wieso muss man das ändern?
Der Abreißkalender mit den schlauen Sprüchen, den mir meine Mutter zum letzten Geburtstag geschenkt hat, offenbart mir die ganze gedankliche Misere, in der ich mich befinde: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Arschloch.
Neidhammel
Montag, 29 . August, um 17 : 31 Uhr
Ich habe heute Konrad erzählt, dass Mona einen Braten in der Röhre hat. Und wurde prompt für meine Wortwahl gerügt. » Juli! Das darf man doch so nicht sagen!«
Nicht? Ach so. Entschuldigung. Komischerweise macht man sich ziemlich schnell ziemlich unbeliebt, wenn man durchblicken lässt, dass man nicht begeistert ist, wenn eine der besten Freundinnen schwanger ist.
» Was ist dein Problem?«, fragte Konrad.
Wenn ich das wüsste.
» Bist du neidisch?«
Pah. Pahaha. Neidisch. Ja. Genau. Neidisch. Ich bin total neidisch. Neidisch, dass ich nicht auch kugelrund werde und mehr Flüssigkeit in den Beinen habe als die Donau bei Hochwasser. Neidisch, dass ich nicht Unmengen von Geld für Strampler, Flaschen, Nuckis, Windeln, Windelmülleimer, Hartschalenbabysitze und pädagogisch sinnvolles Spielzeug ausgeben darf. Neidisch, dass mein Sexleben auf die Größe einer Walnuss schrumpfen wird und meine Brüste um ein Sechsfaches anschwellen. Richtig, Konnilein, ich bin total neidisch.
Ich will kein Kind. Jedenfalls nicht jetzt. Und auch nicht in nächster Zukunft. Vom Kinderkriegen wird man dick. Und dick bin ich schon. Früher, also eigentlich vor nicht allzu langer Zeit, maximal vor zwei Wochen, habe ich mir mal gewünscht, mal eine ganz, ganz schlimme, natürlich nicht lebensbedrohliche, aber dafür vollkommen schmerzfreie Krankheit zu bekommen. Ich habe mir vorgestellt, dass ich für sechs bis acht Monate in eine Klinik komme und ganz fürchterlich viel abnehme. Natürlich nicht so, dass die Haut danach so an mir rumschlabbert, sondern normal, also dass ich also normal- bis leicht untergewichtig wieder aus dem Krankenhaus entlassen werde. Und all meine Freunde und meine Familie stehen am Eingang und klatschen in die Hände und sagen » Oh!« und » Ah!« und bewundern mich, mein neues, schlankes Ich und meine super Figur, und Heidi Klum steht auch da und wedelt mit einem Modelvertrag, und Seal singt ein schmissiges Lied, und alle liegen sich in den Armen. Unsere schöne, schlanke Juli!
Ich war nur ein Mal im Krankenhaus. Das war nach der Grundschule, als ich aufs Gymnasium wechseln sollte. Ich bekam, wohl aus Panik, weil meine besten Freundinnen nur eine Realschulempfehlung bekommen hatten und mich nicht in den neuen Lebensabschnitt begleiten würden, eine spontane und sehr hässliche Form von Neurodermitis. Und nicht nur so ein paar juckende Stellen am Ellenbogen, nein, ich war rot und aufgeschubbert und ständig am Kratzen, also wurde ich eingewiesen und mit Kortison behandelt. Das Ergebnis: Nach sechs Wochen Sommerferien im Krankenhaus wurde ich pünktlich zum ersten Schultag weiß wie Frischkäse und zwölf Kilo schwerer wieder entlassen. Ich war geheilt. Das Übergewicht hat sich in der Zwischenzeit exponentiell zu meinem Alter verdoppelt. Neurodermitis habe ich nie wieder bekommen. So viel zu den Tagträumereien einer Kleidergröße 44/46.
Konrad kriegt
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