Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
Getreide aufbrühen. Kurz überlegte ich, den Zucker mit Sägespänen zu strecken und ein Stück Schwarzmarktschokolade anzubieten, immerhin spielten wir die Lebensmittelknappheit der Nachkriegszeit nach, und ich wollte mich stilecht verhalten. Aber Konrad guckte sehr böse, als Mona mich um Milch bat und ich nach ihrer Lebensmittelmarke fragte, daher verlegte ich die bösen Witze lieber auf später.
» Meine Großmutter ist total ausgeflippt, als sie hörte, dass ich schwanger bin«, eröffnete Mona den Kaffeenachmittag bei Ersatzprodukten.
» Vor Begeisterung«, vermutete Konrad, der sich ausnahmsweise dazugesellt hatte, wohl wissend, dass wir heute nicht über ihn oder seine Artgenossen lästern würden.
» Nein«, empörte sich Mona. » Vor Entrüstung! Sie findet, man sollte keine Kinder bekommen, wenn man nicht verheiratet ist.«
Willkommen im Jahr 1945. Ich klopfte mir auf die Schulter und verdünnte die Getreideplörre, die in meiner Tasse schwappte, mit einem Schuss heißem Wasser.
Konrad war von Monas Eröffnung echt schockiert. » Im Ernst?«
» Ja. Sie weigert sich, mich zu sehen.«
» Ist nicht wahr!« Konrad echauffierte sich vorbildlich. Vielleicht sollte ich ihn öfter zu den Lästerrunden mitnehmen. Ach nein. Die Lästerrunden würden ja bald von Geburtsvorbereitungskursen abgelöst.
Mona nickte. » Erst dachte ich: Die kann mich mal.«
Richtige Einstellung. Ich nickte ebenfalls.
» Aber dann dachte ich: Hey, ist ja immerhin meine Oma. Und mit dem Kind wird es dann auch einfacher, wenn Pätrick und ich verheiratet sind.«
Wenn? Verheiratet sind? Wieso nicht: sofern wir verheiratet wären?
Hatte ich eine nicht unerhebliche Entwicklungsstufe verpasst? Was war eigentlich mit dem Konjunktiv passiert, wurde der nicht mehr verwendet? Überlegte man sich die nächsten Schritte gar nicht mehr? Traf man direkt Entscheidungen?
Der Konjunktiv winkte mir traurig durch die Scheibe des abfahrenden Zuges zu.
» Das heißt…«, meine Stimme brach.
» Ihr heiratet!«, fiel mir Konrad ins stammelnde Wort.
Meine Freundin Mona nahm einen tiefen Schluck aus der Tasse und grinste breit. Konrad sprang auf und beugte sich über den Tisch, um sie zu umarmen. Es kam zu einem kleinen Handgemenge, in dessen Folge ich die Blumenvase und den Tetrapak Milch mit beiden Händen vor dem Umkippen retten musste.
Ich schluckte. Tetrapak und Blumenvase zitterten.
» Juli«, Mona sah mich an, » freust du dich nicht? Du wirst Brautjungfer! Wie Pippa!«
Konrad und Mona sahen mich freudestrahlend an. In meinem Kopf wurde das Licht gedimmt, dann öffneten sich zwei gewaltige, schwere Vorhänge aus rotem Samt vor einer Leinwand. Schwarzes Bild, es wurde rückwärts eingezählt. 3– 2– 1– Film ab.
Ich, in einem lachsfarbenen Albtraum aus fest um meine strammen Schenkel spannender Seide, stehe vor dem Altar. Alle sind gekommen, sitzen in der Kirche auf den engen, unbequemen Bänken nebeneinander. Stoff raschelt, Kameras sirren, der Pfarrer nimmt die Hand der hochschwangeren, aber in ihrem weißen Kleid mit meterlanger Schleppe bezaubernd aussehenden Mona, daneben Pätrick, dessen gesamte ostdeutsche Sippe stilecht in Trabis angereist ist und am Vorabend schon wild und ausgelassen bei Spreewälder Gurken und Rotkäppchensekt feierte. Beide sehen sich tief in die Augen. Cora, die neben mir steht, schnieft in den Saum ihres Lachsärmels, was weder das Kleid noch die Eleganz, in der sie sich darin bewegt, beeinträchtigt. Tine, emotional noch vollkommen mitgenommen von dem romantischen Beatles-Song, den sie gerade engelsgleich und glockenhell a capella zum Besten gegeben hat, schluchzt gerührt auf, als sie den Blick ihres Freundes auffängt, der schräg gegenüber steht und mit den Lippen ein zärtliches » Ich liebe dich« formt.
Der Pfarrer blickt Mona und Pätrick nacheinander tief in die Augen. Dann erhebt er die Stimme und sagt so laut, dass er selbst im hintersten Winkel des riesigen Kirchenschiffs zu hören ist: » Falls irgendjemand in diesem Raum Einwände gegen diese Hochzeit hat …«
Ich!, denke ich und zuckte leicht mit dem Zeigefinger der rechten Hand. Cora und Tine, beide ganz benommen von der Zeremonie, vielleicht auch vom Weihrauch, bemerken nichts, aber Konrad, der uns gegenüber neben den Jungs steht, wirft mir einen vernichtenden Blick zu. Mein Finger zuckt stärker. Konrad hüstelt leise. Der Pfarrer sieht ihn irritiert an, hält inne. 21. 22. 23. Konrad schließt die Augen und schüttelt kaum
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