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Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Titel: Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Rautenberg
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gewordenen Platz an.
    » Ich? Wieso?«
    Der junge Mann machte ein verdutztes Gesicht. » Ach so. Ähm… Ich dachte nur, weil… na ja, also… Sind Sie nicht schwanger?«
    Ich starrte ihn an, mir klappte der Unterkiefer runter und wieder rauf, und vor meinem inneren Auge erschien ein leuchtendes FATAL ERROR . Jetzt nicht durchdrehen. Bleib freundlich.
    » Wie kommen Sie darauf«, fragte ich mit vor aufkeimender Wut zitternder Stimme, » dass ich schwanger sein könnte?«
    Das Gesicht des jungen Mannes nahm die Farbe einer reifen Aubergine an. » Ich… äh… also…« Er verstummte, dann fiel sein Blick auf meinen Bauch. Meinem eindeutig nicht schwangeren Bauch! » Ich dachte nur…«
    » Sie DACHTEN ?« Meine Stimme wurde so laut, dass es in meinen Ohren zu klingeln anfing. » Was dachten Sie? Sind Sie eigentlich total bescheuert? Ich bin nicht schwanger!« Ich verstummte, aber in mir brodelte ein Hexenkessel. Der Mann setzte sich zerknirscht wieder auf seinen Platz, ich blieb demonstrativ vor ihm stehen, zog aber den Bauch ein.
    Schwanger. Ich! Das war ja wohl die Höhe! War diesen hippen Großstadtyuppies eigentlich gar nichts mehr heilig? Schlimm genug, dass man alle Naselang mit der Zeugungsfähigkeit der neuen Mittelschicht konfrontiert wurde. Überall fiel man über ergonomisch geformte, dreirädrige Outdoor-Kinderwagen, geschoben von diesen durchgestylten Prenzlauer-Berg-Muttis, die ihr Kind schon im Mutterleib mit klassischer Musik beschallten und ihre Bälger mit sechs Monaten in eine zweisprachige Kinderkrippe abschoben, um möglichst schnell wieder in den Power-Yoga-Kurs einzusteigen, damit sie den Anschluss nicht verpassten. Boah, hatte ich ’ne Krawatte! Und das Schlimmste: Zwei Wochen nach der Geburt waren die dünner als vorher!
    In der Scheibe der Tram reflektierte sich mein Spiegelbild. Im Profil. Konnte man nicht mal im öffentlichen Nahverkehr von seinem eigenen Anblick verschont bleiben? Ich sah genauer hin. Okay, mein Bauch war alles andere als flach, und auch » Bauch weg in 7 Tagen« war bei mir eindeutig ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber schwanger war dieser Bauch nicht. Niemals.
    Wenn ich mir allerdings meinen Hintern so anguckte… dem würde ich eine zweiundzwanzigste Woche schon eher abkaufen.
    Neulich habe ich im Fernsehen einen Bericht über verschiedene Po-Typen gesehen. Ich war mit meinem Hintern zwar, weil zu groß, nicht zufrieden, trotzdem hatte ich mich spontan gefreut, dass ich nicht der Kartoffeltyp war. Wer will schon einen Arsch wie ’ne Kartoffel haben? Da waren die Dellen ja das kleinste Übel. Apfel und Birne fiel bei mir leider auch raus. Am ehesten war ich wohl der Tomatentyp. Prall, rund. Wohlgeformt. (Der Tomatenpo hatte bei der Abstimmung in der Münchner Innenstadt dann auch die meisten Fans.) Wenn er nur nicht so groß wäre! Ich drehte mich leicht, beobachtete weiter mein Spiegelbild. Ne, Tomate war definitiv ein Euphemismus. Ich musste expandieren.
    Dann wandte ich mich wieder zu dem jungen Mann um. » Nur dass Sie es wissen: Ich bin nicht schwanger, ich war nie schwanger, und ich werde so schnell auch nicht schwanger sein! Ich bin dick, ohne dass ich ein Kind bekommen habe! Stellen Sie sich das mal vor. Total verrückt!« Meine Stimme troff vor Ironie. » Und außerdem«, ich drehte mich um und streckte ihm meinen Hintern hin, » schauen Sie sich das mal an! Das ist ein Melonenpo. Merken Sie sich das. Der ist sogar noch dicker als mein Bauch. Sollte ich also schwanger sein, wär’s wohl eher ’ne Arschgeburt.«
    An der nächsten Haltestelle stieg ich aus. Gezwungenermaßen. Mehrere junge Frauen mit Kinderwägen, in Tragetücher eingewickelte Neugeborene auf den Bauch gespannt und mit zweijährigen Rotzlöffeln an der Hand, hatten sich gegen mich verbrüdert und den beinahe weinend zusammenbrechenden Mann unter ihre Fittiche genommen. Sie meckerten mich an, ich wäre daran schuld, wenn in naher Zukunft die Flüsse austrockneten, Vulkane das Erdinnere ausspuckten, der Himmel sich verdunkelte und Männer in der Tram Schwangeren keinen Platz mehr anböten.
    Ich schlurfte nach Hause, rauchte unterwegs eine Packung Zigaretten und beschloss, die Wohnung nicht wieder zu verlassen, bis ich wirklich schwanger wäre. Musste man sich derlei Beleidigungen gefallen lassen?

Privater Fernverkehr
    Freitag, 9 . September, um 14 : 57 Uhr
    Mist. Meine Pille war leer.
    Ich musste wohl doch aus dem Haus, ohne schwanger zu sein, oder vielmehr: um nicht schwanger zu werden.

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