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Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Titel: Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Rautenberg
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merklich den Kopf, der Pfarrer atmet erleichtert aus, wendet sich wieder dem Brautpaar zu.
    Hicks. Urplötzlich bekomme ich Schluckauf. Konrad schießt aus seinen Augen eisige Blitze in meine Richtung ab.
    Der Pfarrer zieht die Luft zwischen den Zähnen ein, dreht seinen Kopf kurz zu mir. » … dann möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen.«
    Ich konzentriere mich. Kein Wort, Juli! Du verhältst dich unauffällig und ganz still, so wie alle anderen auch. Du bist ruhig, du bist entspannt, und du hast keinen Schluck … » HICKS !«, poltert es da aus mir heraus. Ich laufe rot an, sicher ein schöner Kontrast zu der lachsfarbenen Wurstpelle, in die ich mich heute Morgen reingeschossen habe.
    » Meine Tochter.« Der Pfarrer nimmt mich ins Visier, Pätrick dreht den Kopf, sieht entsetzt zu mir herüber. Monas Augen verengen sich zu kleinen Schlitzen. » Du versaust mir nicht die Hochzeit!«, höre ich sie zischen, ohne dass ihre Lippen sich bewegen.
    » Nein, HICKS !, alles in Ordnung«, presse ich heraus.
    Der Pfarrer sieht skeptisch aus, nicht überzeugt, hebt kurz die Augenbrauen, atmet dann erneut tief aus, wendet sich wieder den beiden erwartungsvollen jungen Menschen vor sich zu. Er fährt fort. » Ich frage dich, Mona, vor Gottes Angesicht: Nimmst du deinen Bräutigam als deinen Mann an, und versprichst du, ihm die Treue zu halten in guten und bösen …«
    » HICKS !« Ein kurzer, genervter Seitenblick streift mich.
    » … Tagen, in Gesundheit und Krankheit …«
    » HICKS .« Ich habe mal von einer Frau gelesen, die hatte sechsundvierzig Jahre lang Schluckauf.
    » … ihn zu lieben, zu achten und zu ehren …«
    » HICKS - HICKS .« Die Intervalle werden kürzer, die Frequenz höher.
    » … bis der Tod euch …«
    » HICKS - HICKS - HICKS .«
    » So KANN ich nicht arbeiten!«, brüllt der Pfarrer und zeigt mit dem ausgestreckten Zeigefinger in meine Richtung. » Entfernt diese … diese …« Ihm fehlen die Worte. » … PERSON !«
    Mona schüttelt ungläubig den Kopf, Tine und Cora blicken mich durch einen Schleier aus Tränen entsetzt an, Stefan und Mario, ihre Freunde, kommen auf mich zu, die Ärmel hochgekrempelt und zu allem entschlossen, Konrad hinter ihnen. Sein Gesicht hat einen sehr unangenehmen Ausdruck angenommen. Aus den letzten Bänken ertönt ein Aufschrei, es klingt wie meine Mutter. » Juli! Musst du immer alles kaputt machen!«
    Ich will mich gerade bücken, um den Saum meines Kleides zu raffen, da zerreißt das Geräusch von reißendem Stoff die unangenehme Stille der Kirche, es fliegt durch den Raum, prallt von den Wänden des Seitenschiffes ab, überlagert sich, steigert sich zu einem Crescendo, und ich merke, dass ein zarter Wind meine in abgetragene Garfield-Unterhosen gepressten Pobacken streift …
    » JUUUULIIIII !«
    » Hallo? Jemand zu Hause?«
    Konrad schnippte mit seinem Finger vor meinem Gesicht herum. Er drehte sich zu Mona. Wir saßen immer noch in der Küche. Kein Pfarrer weit und breit. Keine lachsfarbenen Brautjungfernkleider. Langsam schloss ich den Mund, den ich wohl die ganze Zeit offen stehen gelassen hatte.
    » Nimm’s nicht persönlich, Mona. Seit sie das mit deiner Schwangerschaft erfahren hat, ist sie irgendwie… durch den Wind.«
    Mona lächelte nachsichtig. » Vielleicht hört sie ja ihre eigene biologische Uhr ticken und will es bloß nicht wahrhaben?« Dann beugte sie sich zu mir vor und sah für einen irritierend langen Moment exakt wie das Krokodil aus dem Disney-Zeichentrickfilm Peter Pan aus: » Tick-tack!«

Öffentlicher Nahverkehr
    Dienstag, 6 . September, um 13 : 13 Uhr
    Heute Nachmittag fuhr ich in der Tram. Schulklassen lärmten um mich herum, nahmen die Sitzplätze in Beschlag, ein Drittklässler bohrte einem kleinen Mädchen mit honigblonden Zöpfen seinen Zeigefinger ins Ohr. Das Mädchen fing an zu brüllen, eine ältere Frau mischte sich ein, wies den Dreikäsehoch zurecht, der ihr aber nur die Zunge rausstreckte und das immer noch heulende Mädchen an einem der Zöpfe durch den Waggon hinter sich herzog.
    Ich atmete dreimal tief durch.
    » Wollen Sie sich vielleicht setzen?«, fragte da eine freundliche Stimme hinter mir.
    Ich sah zu der älteren Frau hinüber. Hä? Die saß doch schon.
    Jemand tippte mir auf die Schulter. » He, Sie!« Dieselbe Stimme von gerade eben. » Wollen Sie sich vielleicht hinsetzen?«
    Irritiert wandte ich mich um. Ein junger Mann im schicken Dreiteiler war aufgestanden und bot mir mit der Hand seinen frei

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