Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
es ist. Wir arme Würstchen der Generation Umhängetasche müssen nicht mit dreißig schon den Familienstammbaum erweitert haben. Die Zeiten sind vorbei. Oder hinke ich hier gerade einem Auslaufmodell nach? Hat sich die Welt schon wieder verändert, und ich– verdammt!– hab es schon wieder nicht mitbekommen?
Und: Macht sich eigentlich keiner der anderen Sorgen, dass mit einem Kind das Leben anders wird? Dramatisch, umfassend und vor allem: irreversibel?
Vielleicht sollte ich mit Mario und Stefan eine Selbsthilfegruppe eröffnen. Die anonymen Familienverweigerer. Mit fünfunddreißig können wir ja austreten und die große Fortpflanzung in die Wege leiten. Aber bis dahin? Ist doch klasse gerade! Wir verdienen unser erstes Geld, wir leben in schönen Wohnungen, wir machen Urlaub, wann und wo es uns gefällt, und lassen uns von niemandem einschränken. Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt.
Und dann sollen wir uns mir nichts, dir nichts eine Verantwortung ans Bein binden, die die Vertragslaufzeit unseres Mobilfunkanbieters bei Weitem überdauert? Geburtsvorbereitungskurse? Schwangerschaftsstreifen? Krippenplatzkriege? Grundschulelternabende? Pubertätsprobleme? Studienwahl? Altersvorsorge?
Ich kriege es ja noch nicht mal hin, mich um meine eigene Altersvorsorge zu kümmern. Wie soll ich da ein Kind durchbringen? Oder– ist das Kind meine Altersvorsorge? So gesehen würde das Ganze natürlich ein klein wenig attraktiver auf mich wirken.
Nein. Würde es nicht. Ich bin mit einem Freund, der unsere Wohnung regelmäßig in Schutt und Socken legt, einem übergewichtigen und pflegeintensiven Kater und einer philippinischen Putzfrau, die meine Sachen verräumt, schon mehr als überfordert. Von durchdrehenden Freundinnen, meinen eigenen Eltern und Günther ganz zu schweigen.
Günther. Hatte die Wahrsagerin mit ihrer bescheuerten Prophezeiung am Ende doch recht? Dann habe ich ein Problem. Dann habe ich mein Kartenhaus nämlich auf Sand gebaut.
Così fan tutte
Dienstag, 27 . September, um 10 : 25 Uhr
Die letzte Woche verlief ruhig. Nachdem ich Konrads Baupläne mit einem entschiedenen, aber immer noch freundlichen » Nein danke« vom Küchentisch gefegt hatte, suchte ich am Wochenende das Gespräch.
» Liebling«, fing ich weichgespült an, in der naiven Hoffnung, dass ein Kosewort am Satzanfang mein Gegenüber von der Aufrichtigkeit meiner Gefühle überzeugen konnte, » es ist nicht so, dass ich nie Kinder will. Aber jetzt gerade ist es ein bisschen ungünstig.«
Konrad saß neben mir im Bett, sein Kopf knickte wie bei einer welken Blume traurig nach unten. Er schwieg. Ich nutzte die Gunst der Stunde und fuhr fort. » Und ja, ich kann mir vorstellen, mich mit dir wild zu vervielfältigen, aber die Rahmenbedingungen sind gerade nicht passend.«
» Und wenn wir sie passend machen?« Konrad sah auf und mich mit diesem Blick an, bei dem sich Beton sofort zu einer cremigen, lockerleichten, streichfähigen Masse verflüssigte. Mein Herz zerfloss, seine Bestandteile tropften mir schwer in die Eingeweide.
» Wir können die Rahmenbedingungen anpassen. Aber nach und nach. Nicht so… hauruck! Es kommt mir gerade alles so kopflos vor, so unüberlegt. Lass uns warten und den anderen dabei zuschauen, wie sie Babys machen, okay?«
Konrad nickte noch einmal, dann seufzte er und kuschelte sich ganz dicht an mich ran. Und ich dachte noch, wir hätten das Schlimmste überstanden.
Die Tage tröpfelten dahin, ich legte das Thema Zukunftsplanung und meine damit verbundenen Gedanken zu den Akten, mit dem kleinen Vermerk: Wiedervorlage. Im Vergleich zu den turbulenten Loopings, die unser Leben in den letzten Wochen gefahren war, tuckerten wir gemächlich mit dem Äppler-Express durch den Alltag. Alles war gut. Fast schon ein bisschen langweilig. Aber nur in den seltensten Fällen funktioniert das Katastrophenfrühwarnsystem. Meistens wird die Menschheit eiskalt von einer Jahrhundertflut, einem Riesentornado oder einem interkontinentalen Erdrutsch überrascht.
Gestern Abend, als ich gegen acht die Tür zu unserer Wohnung aufschloss, wusste ich sofort, dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Ich schlüpfte leise in die Wohnung, schloss die Tür und versuchte, die Eindrücke, die sich auf mich niederlegten, zu verarbeiten.
Das Licht war gedimmt. Der Flur wurde nur durch ein großes Windlicht erhellt. Irgendwo im Hintergrund konnte ich leise Musik hören, es klang nach Oper und eindeutig italienisch. Ich
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