Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
Fernsehen. Nur die Pizza fehlte. Ich wartete darauf, dass Konrad einen Spaghetto nahm und ihn sich zwischen die Zähne klemmte, Susi und Strolch zu Ehren. Tat er aber nicht. Stattdessen legte er bedeutungsschwanger seine Gabel neben dem Teller ab.
» Weißt du, Liebling, dass wir uns jetzt fast zwanzig Jahre kennen?«
Na ja, » kennen« war vielleicht ein wenig übertrieben. Ich hatte ihn von der Fünften bis zum Abi schließlich nur ausgelacht und fertiggemacht. Trotzdem machte ich ein freundlich-interessiertes Gesicht und schlabberte eine weitere Nudel von der Gabel. Pavarotti setzte zum finalen und sehr lang gezogenen Ton seines Solos an.
» Ja«, sagte ich, und Konrad putzte sich mit der Serviette den Mund ab. Irgendwo hatte ich diese Geste schon einmal gesehen, aber mir fiel einfach nicht ein, wo…
DIE NUDEL ! Ich hätte Konrad um den Hals fallen können! Das war ja eine fantastische, eine großartige, eine wunderbare Idee, an unserem Jahrestag eine Loriot-Nummer zum Besten zu geben! Ich setzte mich aufrecht hin und lächelte ihn breit an. Ich war bereit!
Pavarotti sang seinen Ton weiter.
» Liebling, ich möchte dir etwas sagen.«
» Ich weiß.«
Ich war voll drin. Ich war Evelyn. Allein Pavarotti konnte meine Konzentration stören, denn der sang seit nun mehr zehn Sekunden ein und denselben Ton und wurde ganz langsam ein klitzekleines bisschen anstrengend.
» Du, Konrad«, setzte ich an, wurde aber mit einer abwinkenden Hand unterbrochen.
» Unterbrich mich nicht.«
Jaja, gut, gehörte zum Text. Ich wartete, bereit, der Szene zu folgen. Aber es gibt Augenblicke im Leben, wo die Sprache versagt, wo ein Ton mehr bedeutet als viele Worte. Und mir platzte gleich das Trommelfell.
» Konrad«, startete ich einen weiteren Versuch, aber Konrad war nicht mehr zu bremsen und säuselte über die Störfrequenz Pavarottis: » Ich hab schon so lange darüber nachgedacht, und ich glaube, jetzt bin ich so weit. Ich hab mir das nie vorstellen können, also früher nicht, aber seit ich mit dir zusammen bin, schon, und jetzt…«
Ich fiel ihm ins Wort. » Konrad! Die Musik!«
» …kann ich es mir vorstellen, und ich frage mich, also nein, viel eher frage ich dich, kannst du es dir auch vorstellen, also nicht nur rein praktisch, sondern auch theoretisch, oder umgekehrt, ganz egal…«
Pavarotti jodelte. So lang konnte doch keiner einen Ton halten! Nicht mal mit digitaler Nachbearbeitung! Die CD hing.
» Konrad, die CD hängt!«
» Was? Ach so.« Konrad sprang auf, hechtete zum CD -Player und drückte auf den nächsten Track. Das Fehlen des monotonen Geräuschs erzeugte in meinen Ohren ein Vakuum, das schon wenige Sekunden später von leisen und– zum Glück– zarten Streichertönen gefüllt wurde. Ich atmete tief aus. Das wäre geschafft.
» So. Wo war ich?« Konrad stand etwas verwirrt vor dem Tisch. » Ach ja.« Er setzte sich, nahm meine Hand und sah mich an.
» Du musst jetzt nicht antworten, ich will dich nicht überfahren mit meiner Frage. Aber vielleicht könntest du es ja zumindest… in Betracht ziehen?«
Ich war irritiert– waren wir noch im Sketch? Wo war die Nudel? Hinter mir fing ein Bläserchor an zu donnern.
» Was?«
» Ach so, ja«, Konrad fuhr sich nervös durch die Haare. » Könntest du dir vorstellen, in absehbarer Zukunft oder wenigstens irgendwann einmal, zu heiraten?«
» Was? Wen?«
» Na, mich!«
Nach dem instrumentalen Intro erkannte ich in der Musik endlich den Gefangenenchor von Nabucco. Wie passend. In der gähnenden Leere meines Hirns knipste ich eine Taschenlampe an und machte mich auf die Suche nach einer Antwort.
Wollte ich überhaupt heiraten?
Und wenn ja: Konrad?
» Äh…«
» Sag jetzt nichts«, sagte Konrad.
» Das ist mein Text«, antwortete ich mit leerem Blick.
» Bitte was?«
» Vergiss es.«
» Also, wenn ich sage, du musst nicht antworten«, schob Konrad nach und griff fester um meine Hand, » dann meine ich natürlich nicht gar nichts sagen, sondern… vielleicht nur nicht festlegen?«
» Ich dachte, ich muss nicht antworten.«
» Nein, musst du nicht, aber vielleicht willst du mir ja eine Tendenz mitteilen?«
Eine Tendenz?
Hinter mir dudelte Verdis Chor den letzten Akkord, dann wurde es still. Nächster Track. Wie gerne wollte ich jetzt auch einfach auf das kleine Knöpfchen am CD -Spieler des Lebens drücken, und der nächste Track würde beginnen. Schnitt, nächste Szene, keiner erinnerte sich an gestern. Keine Frage. Keine Antwort. Alles
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