Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
Gefühl tatsächlich, wenn man sich traut, seiner kleinen Geschichte den Beziehungswimpel zu überreichen? Ändert sich innen drin etwas? An den Gefühlen, den Erwartungen? Ich bin schwer dafür, mehr Beziehungen und weniger Geschichten einzugehen. Wenn man immer davon ausgehen muss, dass man KEINE Versprechen gegeben, KEINE Regeln ausgehandelt, KEINE Erwartungen geschürt hat, dass man bloß nicht zu viel hoffen und erst recht nicht zu viel reininterpretieren darf – wie kann man dann ÜBERHAUPT jemanden finden?«
» Klingt grundsätzlich gut. Wer hat das geschrieben?«
» Du.«
Scheiße. Ertappt.
» Dann nehme ich alles zurück und behaupte das Gegenteil.«
Mona schüttelte den Kopf. » So einfach ist das nicht. Denk doch mal darüber nach: Warum wehrst du dich so gegen all das, was dich die letzten Monate glücklich gemacht hat?«
» Mein Gott, Mona«, entfuhr es mir, » du klingst wie einer dieser Groschenromane, die man am Bahnhof kaufen kann. Für alle Fälle Melanie.«
Mona sah mich skeptisch an. » Ich weiß nicht, wie ich es dir anders sagen soll, deswegen sag ich es freiheraus. Was du machst, ist ein riesengroßer Fehler. Es noch nicht einmal zu versuchen, dich nicht wenigstens mal mit Konrad zusammenzusetzen– das ist dümmer als alles, was du bisher gemacht hast.«
Ich versuchte es mit einem Witz: » Noch dümmer, als mitten in der Nacht zwei Stunden lang im Treppenhaus auf Konrads Heimkehr zu warten?«
Mona schwieg. Oha.
» Noch dümmer, als bei Facebook rumzustalken?«
Und schwieg und schwieg. Und mir wurd’s ganz schwer ums Herz.
» Okay. Sag mir ehrlich, Mona, ist es noch dümmer, als sich noch mal mit Moritz zu treffen, nur um auszuprobieren, ob da noch was ist?«
» Noch viel, viel dümmer.«
Da saß ich nun, ich armer Tor.
Wenn ich davon höre, dass bei jemandem der Groschen fällt, dass jemandem ein Licht aufgeht, es zündet, dass die Erkenntnis in ihn hineinfährt wie ein Blitz, von Gottes Hand geworfen, dann bin ich immer ganz neidisch. Bei mir gibt es kein Wow, keinen Blitz, kein Feuerwerk, kein Donnerwetter und keinen Trompetenchor. Leise zieht’s durch mein Gemüt. Wenn mir klar wird, dass ich auf dem falschen Dampfer bin, dann kann ich im wahrsten Sinne des Wortes von einer Dämmerung sprechen, und zwar einer sehr, sehr langsamen. Nicht wie am Äquator. Zehn Minuten Sonnenuntergang und dann ab dafür. Wenn ich kapiere, dass ich grundsätzlich, systematisch und vollständig danebenliege, dann ist das eine Dämmerung, die sich so lange dahinzieht wie das Müde-über-den-Horizont-Schieben der Mittsommernachtssonne, und zwar am Nordpolarkreis. Da bewegt sich zwar was, aber mit bloßem Auge ist es nicht erkennbar. Da knirscht es zwar leise im Getriebe, wenn sich die alten Rädchen millimeterweise in Bewegung setzen, da fallen ein paar Körnchen Staub zu Boden, aber von Aufwirbeln kann da keine Rede sein. Wenn ich begreife, dass ich falschliege, dann fällt der Groschen nur pfennigweise, nachdem er erst in ermüdender Langsamkeit auf der Stelle kreiselte und kreiselte und rollte und rollte und sich immer wieder gemächlich um seine eigene Achse drehte. Wenn ich begreife, dass ich falschliege, dann geht nicht mit einem Mal das Licht an, sondern dann summt und brummt, dann ruckelt und zuckelt es in der Glühbirne, dann werden leichte Stromschläge durch das Drähtchen geschoben, aber entzünden kann es sich nicht. Dann dauert es, bis die Frequenz erhöht wird, bis dann langsam, ganz langsam endlich ein Stromschlag stark genug ist, um den Funken überspringen zu lassen. Wenn ich begreife, fährt in mich kein Blitz, dann rollt das Unwetter von der Ferne an, und zwar so, dass man es schon kilometerweit und Stunden vorher erahnt. Ich habe genug Zeit, um die Fensterläden zu schließen, das Boot an Land zu holen und ein paar Eimer im Haus zu verteilen, die ich brauchen werde, denn mein Dach ist schlecht gedeckt, und bei mir tropft’s immer rein, wenn es regnet. Ploing. Ploing. Ploing. Wenn ein Gewitter aufzieht, fängt es immer erst mit leichtem Regen an. Ploing. Ploing. Ploing. Fallen die Tropfen durch mein Dach in die Blechschüsseln und Plastikeimer und großen Kochtöpfe aus Gusseisen, und immer, wenn ein Tropfen auf dem Boden eines Behältnisses ankommt, macht es ein Geräusch, Ping beim Plastik, Ploing beim Eisen, bis es sich langsam steigert, die Pings und Ploings schneller kommen, rhythmischer, lauter, bis sie zu einem Crescendo werden, das kein einziges Ping und Ploing mehr
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