Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
hastet er wieder die Treppen zu mir hoch, fällt mir in die Arme und schwört mir ewige Liebe. So weit der Plan.
Ich stehe neben der Wohnungstür und lausche. Jetzt kommt er bei den Briefkästen an. Gleich wird es still werden, ich werde hören, dass er innehält, sein Geistesblitz wird bis hier oben leuchten. Ich warte.
Und höre, wie die Haustür zufällt.
Ich eile ans Fenster, das zur Straße hinausgeht. Dort steht Konrads Wagen. Dass ihn die Erkenntnis noch nicht im Hausflur heimsuchte, will ich ihm mal verzeihen. Nobody’s perfect, ich weiß das zufällig aus eigener Erfahrung. Ich sehe Konrad aus der Einfahrt treten, er läuft langsam auf sein Auto zu. Öffnet den Kofferraum. Packt seine Tasche hinein. Hält kurz inne. Da! Das ist er, der Moment! Jetzt aber, Herr Paulsen!
Von hier oben aus kann ich nur seinen Rücken sehen, der noch immer unbeweglich vor dem geöffneten Kofferraum steht. Na ja, bei manchen dauert’s eben länger, da will ich mal nicht so sein. Ich kann sehen, wie es in seinen Gehirnwindungen rattert. Gerade denkt er an uns, an mich, fragt sich, wie bescheuert er eigentlich ist, das alles wegen eines blöden Stücks Papier, auf dem steht, dass wir zusammengehören, wegschmeißen zu wollen. Gleich wird er sich umdrehen, sich an die Stirn fassen, sein » Ich Idiot!« werde ich bis hierher hören. Ich freue mich und beobachte weiter, was unten auf der Straße passiert.
Konrad schließt den Kofferraumdeckel. Mit beiden Händen. Die Geste sieht erschreckend endgültig aus. Dann dreht er sich langsam um, sieht zu mir hoch ans Fenster. Ich bin zu starr vor Schreck, um rechtzeitig ins Innere des Zimmers zurückweichen zu können, und bleibe dementsprechend dämlich an der Scheibe stehen. Konrad hebt die Hand zum Gruß. Dann blickt er traurig auf den Boden, atmet einmal tief aus und geht zur Fahrerseite hinüber. Er steigt in den Wagen. Und fährt weg. Und ich bleibe stehen, ganze dreißig Minuten lang am Fenster, und warte, dass jemand die Saalbeleuchtung andreht.
Man muss halt nur zu leben wissen
Dienstag, 4 . Oktober, um 09 : 15 Uhr
» Was soll das heißen– er ist weg?«
Tine hat angerufen, weil Mona von Pätrick, der es von Stefan weiß, erfahren hat, dass Konrad den Kampfplatz geräumt hat.
» Er hat seine Tasche gepackt und ist zur Tür hinaus.«
In schlimmen Momenten bin ich komischerweise nicht verzweifelt oder schlage wild um mich, sondern werde tiefenentspannt und gefühlsneutral. Konrad ist weg. Die Inflation steigt jährlich. In Indien leben Indianer. Okay.
» Und was hat er gesagt?«, fragt Tine.
» Nichts.«
» Man kann nicht nichts sagen, wenn man jemanden verlässt.«
» Doch. Genau das hat Konrad getan. Nichts. Er ist einfach so gegangen, ohne ein Wort der Erklärung.« Ich habe mir die Situation in den letzten Tagen so oft vorgestellt, dass ich meiner Version mittlerweile mehr glaube als der Wahrheit. Gott wird mir das schon vergeben, das ist schließlich sein Geschäft.
» Also, Juli, wenn das wirklich stimmt…«
» Was es tut.« Glaube ich zumindest.
» …dann ist Konrad wirklich… wirklich…« Sag’s! Bitte! Unsere tägliche Gunst gib uns heute. Erlöse mich von dem Bösen. Erteile mir die Absolution. Sag mir, dass nicht ich den Karren an die Wand gefahren habe, sag mir, dass Konrad derjenige ist, der erst uns in den Dreck gefahren und mich dann im Matsch hat sitzen lassen. Sag mir, dass meine Entscheidung, erst Nein zu sagen, dann nichts zu tun, mich ihm nicht vor den Wagen zu schmeißen, ihm nicht die Fahrbahn zu blockieren, ihn nicht mit einem kleinen Zeichen meiner Zuneigung aufzuhalten, richtig war.
» …ein Riesenarschloch!«
Danke. Jetzt geht’s mir besser.
» Ich fasse es nicht!«, Tine redet sich in Rage. » So was MACHT man doch einfach nicht!«
Joah, gut, das ist jetzt Auslegungssache, denke ich mir, schweige aber lieber noch ein bisschen weiter, darin habe ich Übung, darin bin ich mittlerweile richtig gut. Wenn man dem, den man liebt, einen Heiratsantrag macht, und der, den man liebt, selbigen abschmettert, kann man zwar schon mal seine Siebensachen packen und abhauen, aber diesen argumentativen Schlenker lasse ich umständehalber an dieser Stelle aus. Man muss es ja nicht komplizierter machen, als es ist.
» Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut.« Tine hat in den letzten Minuten lustig weitergeschimpft. Ich rechne damit, dass sie sich jeden Moment in einen Rohrspatz verwandelt. » Aber sag mal…« Plötzlich wird die Tonart ruhiger,
Weitere Kostenlose Bücher