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Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Titel: Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Rautenberg
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Innenarchitekten, der in den Siebzigern sein Handwerk gelernt und seitdem keine nennenswerten Weiterbildungen besucht hat. Denn vor mir steht eine gigantomanisch große, atemberaubend scheußliche Schrankwand Marke Eiche rustikal. Der Boden ist in sattem Ockerbraun gefliest (mit hübschem Verlauf an den Seiten), vor den Fenstern hängen halbe Häkelgardinen. Ich rechne jeden Moment damit, einem röhrenden Hirschen gegenüberzutreten. Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.
    Ich weiß jetzt, warum das mit der Kette passiert ist. Wenn ein junger Mensch über Jahre, ach, was sag ich, Jahrzehnte mit einer derartigen Geschmacklosigkeit infiltriert wird, bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als selbst den letzten Rest Geschmack loszuwerden.
    Das einzig Freundliche im gesamten Raum ist Konrads Vater, der in einer abgeschrabbelten Cordhose und einem nicht mehr ganz sauberen Wollpullover mit Flickeneinsätzen auf den Ellenbogen in einem Sessel sitzt und mich nett anlächelt.
    » Hallo«, sage ich und gehe auf ihn zu. » Ich bin Juli.«
    » Hallo, Juli«, sagt Konrads Vater und reicht mir die Hand. » Ich bin der Vater. Also der Vater des Sohns, also Konrads Vater, und der Mann der Mutter.«
    Ah. Konrads Vater wirkt ein bisschen verwirrt und schüttelt erst konfus den Kopf, dann meine Hand. » Ich würde ja gerne aufstehen, um Sie richtig zu begrüßen, aber ich bin nicht mehr so mobil.« Er klopft auf sein Bein und flüstert: » Vierzig Jahre Roth-Händle, filterlos.« Und grinst.
    Ich grinse auch. Bis Konrads Mutter wieder hereinkommt, einen Kuchen in den Händen, der jeder Beschreibung trotzt.
    » Konnilein?«, flötet sie.
    Aha. Da hat Nadine das her.
    » Bringst du bitte noch die Kaffeesahne?«
    Kaffeesahne. Ich dachte, die wäre mit der DDR abgeschafft worden.
    » Und Bertholt: Spiel nicht den eingebildeten Kranken, und komm zu Tisch!«
    Wir setzen uns an den Tisch. Nein: ZU Tisch. Es dauert ein paar Minuten, weil Konrads Vater wirklich ein bisschen eingeschränkt ist und sein (totes?) Bein hinter sich herzieht. Als das Unmögliche geschafft ist, lässt er sich mit einem tiefen Seufzer am Kopfende des Tisches nieder. Konrad und ich sitzen auf der Eckbank (die mit einem Stoff bezogen ist, der mir augenblicklich eine Gänsehaut über den Rücken jagt). Die Vogelscheuche nimmt uns gegenüber Platz. Sie schneidet den Kuchen, oder was immer das sein soll, an und hebt mir ein wirklich überdimensional großes Stück auf den Teller.
    » Danke, ich möchte lieber ein kleineres Stück«, versuche ich zu retten, was zu retten ist, aber Konrad kneift mir unterm Tisch in den Oberschenkel, und Konrads Mutter lächelt fies: » Zu spät.«
    » Wenn das Kuchenstück umfällt, gibt das ’ne böse Schwiegermutter!«, witzelt Konrads Vater.
    Keiner lacht. Alle schauen auf meinen Teller, der immer noch von den Klauen der Vogelscheuche gehalten wird. Und in diesem Moment lässt Konrads Mutter das Kuchenstück mit einem satten Klatschen auf die Breitseite fallen. Nein, da gibt’s nix zu rütteln. Das liegt da fundamental fest. Wäre das also auch geklärt.
    Bei allen anderen bleiben die Kuchenstücke wie vorgesehen auf der schmalen Unterseite stehen. Konrad wird also mehr Glück mit seinen Schwiegereltern haben, und das kann ich nur bestätigen: Sie sind zwar manchmal etwas seltsam, im Großen und Ganzen aber ganz okay. Ich muss echt keine zweiwöchigen Urlaube mit ihnen verbringen, aber zu schämen brauche ich mich auch nicht für sie.
    Konrad scheint dieses Gefühl nicht zu kennen. Er sitzt total verschüchtert und wie ein Primaner, der sich gerade in die Hosen gepitschert hat, am Tisch, ich korrigiere: ZU Tisch, und starrt auf sein Stück Kuchen. Er, der Kuchen, muss wirklich sehr, sehr gesund sein, denn er erweckt den Anschein, als wäre er aus Kieseln gebacken. Was soll das sein? Natursteinkuchen?
    » Dinkel-Streusel«, errät Konrads Mutter meine Gedanken. Fein. Dann auf in die Schlacht.
    Ich wage mich an den ersten Bissen. Noch in meinem Mund zerfällt der Dinkel-Streusel zu Staub und legt sich schwer auf meine Atemwege. Nur mit Mühe kann ich ein Husten unterdrücken. Ich räuspere mich vernehmlich, und Konrad kneift mir ein zweites Mal in den Oberschenkel. Ja, ist ja gut! Verzweifelt japse ich nach Luft. Die Kuchenkrümel bewegen sich keinen Millimeter. Na prima, elendig verreckt zu Tisch bei Familie Paulsen!
    Konrads Mutter sieht mich an. Ihren Blick kann ich nur als bohrend bezeichnen. » Konrad wollte ja nicht so richtig damit

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