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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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Großen. Wie das duftete!
    Omma
hatte mir außerdem beigebracht, wie man Brotfladen backt. Sie entfachte das Feuer, während ich den Brotteig knetete, ihn ausrollte und ihm dabei die Form eines Vollmondes gab, um ihn anschließend an den Seiten des
tandour
, des traditionellen Ofens, auszulegen. Eines Tages aber verzichtete sie schließlich auf ihren
tandour
und verdiente sich damit ein paar Scheine auf dem Schwarzmarkt. Immer wenn wir in Not waren, verkaufte sie ein paar ihrer eigenen Habseligkeiten. Sie hatte letztlich gelernt, nicht mehr auf meinen Vater zu zählen.
    Und dann kam der Tag, an dem kaum mehr etwas zu verkaufen blieb. Da bei uns aus Geldmangel ständig die Mahlzeiten ausfielen, gesellten sich meine Brüder irgendwann zu den kleinen Straßenhändlern, die an der roten Ampel an die Scheiben der Autos klopfen, in der Hoffnung, etwas Kleingeld für ein Päckchen Kaugummi oder Papiertaschentücher zu bekommen. Mona fing schließlich auch damit an. Doch mit dem Betteln hatte sie kein Glück. Nach vierundzwanzig Stunden wurde sie von der Polizei aufgelesen und für ein paar Tage in ein Heim für Leute gesteckt, die Dummheiten machen. Nach ihrer Rückkehr erzählte sie zu Hause, sie habe Damen kennengelernt, die man bezichtigte, mit mehreren Männern zugleich zu verkehren, und die von den Gefängniswärterinnen an den Haaren gezogen wurden. Als sie sich von ihren Aufregungen wieder erholt hatte, machte sie sich erneut auf, um ein paar Geldstücke zu erbetteln, und wieder sah sie sich unverhofft einer Polizeistreife gegenüber. Nach dieser zweiten Verhaftung gab sie es endgültig auf. Nun waren wir, Haïfa und ich, an der Reihe, unser Glück zu versuchen. Uns an den Händen haltend, kratzten wir mit den Fingernägeln an den Autoscheiben und wagten kaum, unseren Blick zu den Autofahrern zu erheben. Ich machte das gar nicht gern, aber wir hatten keine andere Wahl.
    An den Tagen, an denen
Aba
sich nicht bis spät im Bett verkroch, ging er los und hockte sich wie die anderen Arbeitslosen auf einen der Plätze unseres Viertels, in der Hoffnung, eine Tagesanstellung als Arbeiter, Maurer oder Mann für alles zu ergattern, gegen eine Bezahlung von 1000
Rial
. Seine Nachmittage verbrachte er immer häufiger bei Nachbarn zum
kath
-Kauen. Er sagte, es helfe ihm, seine Probleme zu vergessen. Es war zum Ritual geworden. Im Schneidersitz zwischen den anderen Männern des Viertels fischte er sich die besten grünen Blätter aus einer Plastiktüte und steckte sie sich in den Mundwinkel. Je leerer die Tüte wurde, desto mehr schwoll seine Wange an. Die Blätter bildeten schließlich eine Kugel, auf der er stundenlang herumkaute.
    Bei einer dieser
kath
-Sitzungen war ein junger Mann um die dreißig auf ihn zugegangen.
    »Ich möchte, dass unsere beiden Familien einen Bund schließen«, sagte der Mann zu ihm.
    Er hieß Faez Ali Thamer, arbeitete als Bote und lieferte mit seinem Motorrad überallhin Pakete aus. Er stammte wie wir aus dem Dorf Khardji und war auf der Suche nach einer Frau. Mein Vater stimmte sofort zu. In der logischen Abfolge war ich diejenige, die nun nach meinen älteren Schwestern Jamila und Mona verheiratet werden musste. Als er nach Hause kam, verkündete er uns seine Entscheidung. Und niemand konnte widersprechen.
    Noch am selben Abend hörte ich zufällig ein Gespräch zwischen meinem Vater und Mona.
    »Nojoud ist viel zu jung, um zu heiraten«, rief Mona aus.
    »Zu jung? Als der Prophet Mohammed Aischa heiratete, war sie erst neun Jahre alt«, entgegnete ihr mein Vater.
    »Ja, aber das war zur Zeit des Propheten. Heute ist das anders.«
    »Hör zu, diese Hochzeit ist die beste Möglichkeit, sie zu schützen!«
    »Wie meinst du das?«
    »Das weißt du genau. Wir ersparen ihr damit den Ärger, den du und Jamila gehabt habt. Wir ersparen ihr, von einem Unbekannten mitgenommen zu werden und böse Gerüchte über sich hören zu müssen. Dieser Mann macht wenigstens einen anständigen Eindruck. Er ist im Viertel bekannt. Er kommt aus unserem Dorf. Und er hat versprochen, Nojoud nicht anzurühren, bevor sie nicht größer ist.«
    »Aber …«
    »Ich habe meinen Entschluss gefasst! Außerdem weißt du ganz genau, dass wir nicht genügend Geld haben, um die ganze Familie zu ernähren. So haben wir ein Maul weniger zu stopfen.«
    Meine Mutter schwieg zu alldem. Sie wirkte traurig, doch sie schien sich damit abzufinden. Schließlich hatte auch meine Mutter eine arrangierte Heirat hinnehmen müssen, wie die meisten

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