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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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jemenitischen Frauen. Sie musste es also wissen, dass in unserem Land die Frauen alles erdulden, während die Männer die Befehle erteilen. Mich zu verteidigen, wäre zwecklos gewesen.
    Abas
Worte gingen mir durch den Kopf: »Ein Maul weniger zu stopfen«. Ich war also in seinen Augen nur eine Last, die er sich bei der ersten Gelegenheit vom Halse schaffen wollte. Es stimmt, dass ich nicht immer das brave Mädchen gewesen war, das er gerne gehabt hätte. Aber es liegt doch in der Natur von Kindern, dass sie Dummheiten machen, oder nicht? Und ich liebte ihn, trotz seiner Fehler, trotz des
kath
-Gestanks, trotz der Beharrlichkeit, mit der er uns auf die Straße schickte, um ein paar Stücke Brot zu erbetteln.
    »Wir ersparen ihr den Ärger, den du und Jamila gehabt habt.« Was genau meinte er mit diesem Satz? Das Einzige, das ich wusste, war, dass eine Woche vergangen war, dann eine weitere und dann noch eine, ohne dass Jamila wiederkam. Ich hatte am Ende sogar aufgegeben, die Tage zu zählen, die mich immer weiter von ihr trennten. Ausgerechnet sie, die uns so oft besucht hatte, war nun endgültig verschwunden. Ich mochte Jamila sehr. Sie war zurückhaltend und redete nicht viel. Doch sie war großzügig und aufmerksam. Manchmal brachte sie mir Süßigkeiten. Monas Mann war seit dieser rätselhaften Abreise ebenfalls nicht mehr zurückgekommen. Wo steckte er nur? Zu kompliziert für mich, diese Erwachsenengeschichten.
    In seiner Abwesenheit stellte Monas Schwiegermutter die Forderung, das Sorgerecht für ihre Enkel zu bekommen. Monira war nun drei Jahre und Nasser anderthalb Jahre alt. Mona brach es fast das Herz, und sie legte eine unglaubliche Energie an den Tag, um nicht von ihren Kindern getrennt zu werden. Ihr Kampf endete mit einem halben Sieg. Da sie hartnäckig blieb, gelang es ihr schließlich, den Kleinen bei sich zu behalten, unter dem Vorwand, er müsse von ihr gestillt werden. Wie besessen von der Angst, ihn zu verlieren, ließ sie ihn keine Sekunde aus den Augen. Sobald er sich von ihr entfernte, rannte sie ihm nach und schloss ihn fest in die Arme, wie einen Schatz, den man zu verbergen sucht.
     
    Die Heiratsvorbereitungen folgten Schlag auf Schlag. Und mein Unglück wurde mir nun sehr schnell klar. Auf Beschluss der Familie meines künftigen Mannes durfte ich einen Monat vor der Hochzeitsnacht nicht mehr zur Schule gehen. Schweren Herzens gab ich Malak einen Abschiedskuss und sagte ihr, ich würde bald wiederkommen, versprochen.
    »Irgendwann fahren wir mal zusammen ans Meer«, flüsterte sie mir zu und schloss mich fest in die Arme.
    Ich sollte sie nie wiedersehen.
    Auch von meinen beiden Lieblingslehrerinnen, Samia und Samira, musste ich mich verabschieden. Sie hatten mir beigebracht, meinen Vornamen auf Arabisch zu schreiben, von rechts nach links – den Bogen des »noun«, den Hüftschwung des »jim«, die Schlaufe des »waou« und die Zange des »del«: Nojoud! Ich hatte ihnen viel zu verdanken.
    Mathematik und der Koranunterricht zählten zu meinen Lieblingsfächern. In der Schule hatten wir die fünf Säulen des Islams auswendig gelernt: die
chahada
, das Glaubensbekenntnis, die fünf täglichen Gebete, der
haj
, also die große Pilgerreise nach Mekka, der
zakat
, das Almosen, das man den Bedürftigen gibt, um ihnen zu helfen, und schließlich der Fastenmonat Ramadan, während dem man zwischen Aufgang und Untergang der Sonne weder essen noch trinken darf. Wenn wir einmal größer seien, sagte Samia zu uns, würden auch wir fasten.
    Doch am liebsten mochte ich den Malunterricht. Mit meinen Buntstiften malte ich Birnen und Blumen. Und auch Villen mit blauen Dächern, grünen Fensterläden und roten Schornsteinen. Vor dem Eingangstor stellte ich zuweilen einen Wächter in Uniform dar. Ich hatte gehört, dass die Häuser von Leuten, die viel Geld haben, von Wächtern beschützt werden. Im Garten malte ich immer viele Obstbäume. Mit einem kleinen Wasserbecken in der Mitte.
    In der Pause spielten wir Verstecken und sagten Abzählreime auf. Ich hatte die Schule für mein Leben gern. Sie war mein Zufluchtsort, mein eigener kleiner Glücksmoment.
    Auch die kurzen Abstecher zu meinen Nachbarn, die nur ein paar Meter von uns entfernt wohnten, konnte ich nun vergessen. Bei ihnen gab es ein Transistorradio. Ich hatte es mir angewöhnt, sie mit meiner kleinen Schwester Haïfa zu besuchen und Kassetten von Haïfa Wehbe und Nancy Ajram zu hören, zwei hübschen libanesischen Sängerinnen mit langen Haaren

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