Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden
und einer Menge Make-up. Sie hatten schöne Augen und vollendete Nasen. Wir vergnügten uns damit, sie zu imitieren, indem wir mit den Wimpern klimperten und die Hüften wiegten. Es gab auch eine jemenitische Sängerin, Jamila Saad, die uns gut gefiel. Ein echter Star! »Du bist so stolz auf dich. Du meinst, du bist der Beste«, hieß es in einem ihrer Liebeslieder.
Unsere Nachbarn gehörten zudem zu den wenigen Glücklichen im Viertel, die einen Fernseher besaßen. Fernsehen war für mich wie Reisen. Ich liebte »Tom und Jerry«, das war meine Lieblingszeichentrickserie, aber auch »Adnan und Lina«, die Geschichte zweier asiatischer Freunde in einem fernen Land. Sie hatten alle beide Schlitzaugen. Ich glaube, sie waren Japaner oder Chinesen. Aber das Unglaubliche war, dass sie arabisch sprachen wie ich, ganz ohne Akzent! Adnan war ein mutiger Junge, der Lina immer helfen wollte. Er rettete sie auch mehrmals aus den Fängen böser Figuren, die sie entführen wollten. Hatte sie ein Glück! Ich beneidete sie sehr.
Adnan erinnerte mich an Eyman, einen Jungen aus Al-Qa, den ich nie vergessen werde. Eines Tages, als ich mit ein paar Freundinnen die Straße entlangging, versperrte uns ein Junge den Weg. Er wollte uns Angst machen und rief unanständige Dinge, die sich wie Beleidigungen anhörten, deren Bedeutung ich aber nicht wirklich verstand. Als er unsere verschüchterten Gesichter sah, grinste er blöd. Da tauchte unerwartet Eyman auf und schnappte ihn sich.
»Hau ab, oder ich werfe dir Steine ins Gesicht!«, drohte er ihm.
Verängstigt hatte der Junge die Flucht ergriffen. So eine Erleichterung! Das war das erste und letzte Mal, dass mich jemand verteidigt hat. Eyman wurde für mich zum Held meiner Träume. Ich sagte mir, dass ich, wenn ich einmal groß wäre, vielleicht das Glück haben würde, einen Mann wie ihn zu bekommen.
»Jujujujujuju!!!«
Die Cousinen der Familie klatschten in die Hände, als sie mich ankommen sahen. Ich konnte kaum ihre Gesichter erkennen, denn Tränen erfüllten meine Augen. Ich schritt langsam voran und gab mir größte Mühe, nicht über das Gewand zu stolpern, das mir zu groß war und über den Boden streifte. Man hatte mir auf die Schnelle eine lange schokoladenbraune, halb verwaschene Tunika übergezogen, die der Frau meines künftigen Schwiegervaters gehörte. Eine Verwandte hatte mir die Haare zu einem Knoten gerafft, der mir auf den Kopf drückte. Ich bekam nicht einmal einen Strich Wimperntusche auf die Augen. Als mein Blick einen kleinen Spiegel streifte, konnte ich rasch meine runden Wangen und meine braunen Mandelaugen betrachten, die sich zur Seite hin leicht verengten. Meine Stirn war glatt und meine Lippen hellrot. So genau ich mein Gesicht untersuchte, ich konnte keine einzige Falte erkennen. Ich war zu jung, viel zu jung.
Keine zwei Wochen waren seit dem Heiratsantrag vergangen. Nach den hiesigen Bräuchen fand das Fest unter Frauen im winzigen Haus meiner Eltern statt. Wir waren allerhöchstens vierzig Personen. Währenddessen saßen die Männer bei einem meiner Onkel, um
kath
zu kauen. Ebenfalls unter Männern und hinter verschlossener Tür war zwei Tage zuvor der Ehevertrag unterzeichnet worden. Alles war ohne mein Wissen geschehen. Weder ich noch meine Mutter oder meine Schwestern hatten das Recht, zu erfahren, was geschah. Nur weil sich meine kleinen Brüder auf die Straße aufgemacht hatten, um etwas Geld für die Verköstigung der Runde zu erbetteln, die sich aus
Aba
, meinem Onkel und meinem künftigen Mann in Begleitung seines Bruders und seines Vaters zusammensetzte, hatten wir am Spätnachmittag Wind von der Sache bekommen. Das Treffen hatte unter Einhaltung genau festgelegter Stammesregeln stattgefunden. Der Schwager meines Vaters, der als Einziger
lesen und schreiben
konnte, diente als Notar. Er verfasste den Vertrag. Es wurde beschlossen, dass meine
Mitgift
150 000
Rial
betragen sollte.
»Keine Sorge«, hörte ich meinen Vater meiner Mutter zuflüstern, als es dunkel geworden war. »Er musste uns versprechen, dass er Nojoud bis ein Jahr nach ihrer ersten Periode nicht anrührt.«
Ein Schauder durchfuhr meinen Körper.
Das Fest, das zur Mittagszeit begonnen hatte, war im Nu wieder vorbei. Ohne weißes Kleid. Ohne Henna-Blumen auf den Händen. Ohne meine Lieblingsbonbons mit Kokosnuss, die ich so sehr mag und die mich an den süßen Geschmack meiner glücklichen Tage erinnern. Mir jedoch schien es eine Ewigkeit zu dauern. In einer Zimmerecke
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