Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
ausgebrannt. Ein Bayern-Star zündet sein Haus an und kommt in die Psychiatrie. Und jetzt, am Samstag, schlitzen Sie sich, Schiedsrichter Rafati, vor dem Bundesligaspiel Köln – Mainz die Pulsadern auf. In Ihrem Zimmer im Hyatt-Hotel, in der Badewanne. Die Verbindung zu den verschiedenen Katastrophen ist der Fußball. Wer ein Tor schießt, ist ein Gott. Wer danebenschießt, ein Idiot. Wer Abseits pfeift, ist ein Arsch. Wer einen Elfmeter nicht pfeift, ist ein Doppel-Arsch. In Zeitlupe werden die Fehlentscheidungen der Schiedsrichter immer und immer wieder wiederholt. In der Bundesliga erfahren wir gerade das Ende der Legende der starken Männer. Sie sind schwach, sie haben eine Seele, sie werden krank. Sie haben zwar Muskeln, sie laufen 90 Minuten. Aber ihre Seele läuft nicht immer mit. Der Torwart, der Trainer, der Schiedsrichter. Wenn die Bundesliga ein Spiel auf Leben und Tod ist, dann will ich sie nicht mehr sehen. Herzlichst, F. J. Wagner.«
Der zweite Brief war ganz schmal, aus feinem elfenbeinfarbenem Papier, mit einer Münchner Privatadresse, knapp und zackig. Ich las: »Sehr geehrter Herr Rafati, ich wünsche baldige Genesung! Es ist im Leben nur wichtig, einmal mehr aufzustehen, als hinzufallen. Mit herzlichen Grüßen, Bastian Schweinsteiger.« Unsere Begegnungen auch auf dem Spielfeld waren wie dieser Brief, menschlich und immer von gegenseitigem Respekt geprägt – Schweini und ich haben noch eine Abmachung laufen … eine lustige Anekdote von vielen aus meinen diversen Bundesligapartien.
Auch der dritte Brief kam gleich am Montag nach meiner Tat und war überschrieben mit »Gute Besserung!« Ich las weiter: »Nach der erschütternden Nachricht vom vergangenen Sonnabend und den Stunden großer Anteilnahme und Sorge um Sie habe ich heute mit Erleichterung erfahren, dass Sie das Krankenhaus bereits wieder verlassen konnten. Ich wünsche Ihnen auf diesem Wege, auch im Namen meiner Vorstandskollegen, gute Besserung und den Zuspruch Ihrer Familie und guter Freunde. Ich bin sicher, dass Sie sich in der nächsten Zeit viele Fragen stellen und vielleicht nicht alle beantworten können. Dabei hilft es, im Gespräch zu bleiben, sich mit anderen auszutauschen, die Ihre Situation, ob im Profifußball oder im Privaten, einschätzen können. Ich stehe Ihnen dafür jederzeit zur Verfügung und bitte Sie, keine Scheu zu haben, von diesem Angebot Gebrauch zu machen. Sie wissen, dass Sie sich auf Ihre Sparkasse auch in dieser Situation verlassen können. Ihr Walter Kleine.« Dieser Brief kam nicht von meinem Schiedsrichterobmann, sondern von meinem zweiten wichtigen Chef, dem Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse Hannover.
Alle drei Briefe haben für mich in diesem kahlen Klinikzimmer viel Zuspruch bedeutet, ich habe sie bis heute aufbewahrt, als Motivation, nie den Mut zu verlieren. Wie auch die Vielzahl anderer Grüße, die ich während meiner Krankheit bekommen habe – und teilweise erst Monate später ohne zu weinen lesen konnte. Es waren Briefe von Kollegen, Freunden, wichtigen Menschen der Bundesliga, sogar eine Rote Karte »gegen alle, die dir übel wollen« war dabei, Post von völlig fremden Menschen von vielen Flecken der Erde, die an meinem Schicksal Anteil nahmen.
Die verletzendsten Schmährufe kamen vor meiner Tat aus dem Internet von der Anti-Rafati-Seite, die Menschen eingerichtet hatten, um ihrem abgrundtiefen Hass eine Plattform zu geben und Gleichgesinnte zu sammeln, die mich mit Wörtern und Kommentaren belegten, die viele Beobachter auch in den Medien nur noch als menschenverachtend bezeichneten. Als Reaktion darauf gründeten Melanie Nickolmann und ihre Familie die Pro-Babak-Rafati-Fanpage »Wir brechen eine Lanze für Babak Rafati«, auf der jeder seine Grüße und Genesungswünsche an mich posten und über das Geschehen diskutieren konnte. Während ich in der Klinik lag, stellten mir die Nickolmanns aus den Einträgen ein dickes Buch in DIN A 4 Format mit ca.150 Seiten mit vielen mutmachenden Zuschriften, schönen Fotos und Blogeinträgen zusammen, fremde Menschen, die mir Zuspruch schenkten und mir ihre Anteilnahme versicherten, was mich sehr bewegte.
All das waren sehr wichtige Zeichen für mich, dass ich nicht fallen gelassen wurde. Ich bin allen sehr, sehr dankbar, die an mich gedacht haben – und kann Menschen nur raten, schick deinen Zuspruch los, er tut Gutes – auch wenn eine Antwort manchmal erst viel später kommen wird. Die Briefe und Grüße waren so wichtig. Sie haben mir viel
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