Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
schlimme Außenwirkung. Manche sind sich ihrer Vorbildfunktion überhaupt nicht bewusst! Denn dadurch verlieren auch die Fans die Nerven und Schiedsrichter kommen sich wie Gejagte vor. Damit muss endlich Schluss sein!« Diese Kritik an den Vereinen und den Medien griff er wieder auf, als er Anfang 2013 im Kicker zu »Mehr Respekt für Schiedsrichter« aufrief. Dass Fandel selbst ein sehr großer Teil des Problems, wenn nicht das Problem war, weil er zusammen mit Krug den von ihm kritisierten Druck der Öffentlichkeit häufig genug ungebremst an seine Schiedsrichter weiterleitete, anstatt ihn abzufangen, sich vor sie zu stellen und sie gemäß seiner Fürsorgepflichten als Vorgesetzter zu betreuen, darüber sprach Fandel nicht.
Wie ernst dem DFB der Handlungsbedarf erschien, sieht man daran, dass die von Herbert Fandel geleitete Schiedsrichterkommission als erste Maßnahme nach den dramatischen Ereignissen die Einführung einer regelmäßigen psychologischen Betreuung für die Unparteiischen erwog. Für mich kam dieses Eintreten Fandels für die Nöte seiner Schiedsrichter jedenfalls entschieden zu spät. Ich weiß bis heute nicht, ob der Grund für sein plötzliches Engagement ehrliches Einsehen nach dem Schock über meine Tat war oder, wie schon oft erlebt, nur ein Kalkül in Richtung Medien, um von sich selbst abzulenken. Ich will das nicht bewerten. Ich jedenfalls habe von meinem einstigen Freund, Förderer und für mich verantwortlichen Schiedsrichterobmann in keiner dieser Funktionen einen persönlich an mich direkt gerichteten Genesungswunsch oder die Bitte um eine Aussprache erhalten, die mir Antworten auf diese Fragen hätte geben können. Obwohl Fandel später immer wieder sagte: »Der Mensch steht im Mittelpunkt!« Mich kann er jedenfalls nicht als Menschen gemeint haben, denn selbst Wagner und Fröhlich, seine Kommissionsmitglieder, sagten mir häufiger, dass Fandel, zumindest zum damaligen Zeitpunkt, nicht vorrangig den Menschen im Einzelnen sah, sondern nur die Schiedsrichter in Gänze. Schade, dass Fandel und Krug nicht so menschlich wie Wagner und Fröhlich dachten und denken!
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Die vielen Interviewanfragen auf meinem Handy, auf meiner Mailbox, manchmal auch an meiner Haustür versetzten mich immer mehr in eine Art Schizophrenie, ich fühlte mich verfolgt. Die Idee, nach Hause in meine Wohnung nach Hannover zu fahren, um ungestört alles aufzuarbeiten, war ein Aberwitz. Mein Zuhause schien wie aus Glas, hatte keine Wände, kein Dach und keine Türen mehr, als würde ich in einer großen Puppenstube leben und alles, was ich tat und sagte, wäre offen einsehbar, für jeden zu begutachten, kommentierbar, umgehend Thema der Medien, weiterverwertbar und für viele leider auch mit einem durch Schadenfreude und Gehässigkeit gespeisten Unterhaltungswert. Ich hatte keine schützende Hülle mehr, um meiner Seele Zeit für ihre Heilung zu geben. Ich erschrak, wie tief die Berichterstattung in mein Privatleben eingriff. Ich versank vor Scham. Das Verrückte an meiner Situation: Diese psychiatrische Klinik, in die ich eingesperrt gewesen war und der ich hatte entfliehen wollen, schien den einzigen Schutz zu bieten vor einer Berichterstattung, die mein ganzes bisheriges Leben platt walzte.
Das Schlimme an den vielen Gerüchten und falschen Verdächtigungen in den Fanforen und Medien war: Sie setzten sich fest wie Hundekot unterm Stollenschuh. Ich steigerte mich in die Vorstellung hinein, dass ich am Ende im Gefängnis landen könnte, mindestens für ein weiteres Mal in den Verhörräumen eines Polizeireviers, ohne zu wissen, was mir zur Last gelegt wurde. Für einen gesunden Menschen ist das nicht zu verstehen. Die Suchmaschinen des Internets sind wesenlose Roboter, die auch nach Jahrzehnten jeden Dreck wieder hochgoogeln. Sie suchen nicht nach Wahrheit, sondern mit mathematischer Kälte allein nach Begriffen, die nicht nach Gut oder Böse bewerten – sondern nur danach, welchen Auftrag die Suchanfrage gestellt hat. Einerseits ist dieses gigantische Archiv ein ungeheurer Schatz an Wissen, für den Betroffenen kann es jedoch Zerstörung bedeuten, weil dieses Archiv nie vergisst. Bis in die fernste Zukunft wird alles abrufbar bleiben, selbst wenn es sich längst als Lüge, üble Nachrede, Mobbing oder einfach nur als Irrtum erwiesen hat. Du hast keine Chance, dich gegen diese Unzahl von Falschmeldungen zu wehren – es sei denn, du versuchst dieses Feuer sofort auszutreten, bevor es zu lodern beginnt.
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