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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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teilte er mir trocken mit, dass ich aufgrund des Verjüngungsprozesses der internationalen Schiedsrichter der FIFA einer der Kandidaten sei, der nicht mehr für ein weiteres Jahr vorgesehen sei. Somit würde meine internationale Karriere am 1. Januar 2012 beendet sein.
    Ich hörte wie aus weiter Ferne die Frau am Counter fragen, ob ich Gang oder Fenster haben wolle. Ich ließ Ausweis und Ticket einfach liegen und wandte mich ab, völlig fassungslos, wie unbeteiligt Fandel mir per Telefon mitten auf dem Flughafen mein Karriereende mitteilte. Die Seitenblicke Fandels, die ich damals beim Winterlehrgang im Januar 2011 auf mir gespürte hatte, waren also tatsächlich keine Einbildung gewesen. Auch die Zurückstufung im Programmheft auf dem Sommerlehrgang im Juli 2011 hatte einen konkreten Hintergrund. Mein subjektives Empfinden, dass womöglich alles von langer Hand geplant war, erhielt eine weitere Bestätigung. Ich bekam für einen Moment keine Luft mehr, ich, ein Mensch, der jeden zweiten Tag Strecken über 13 Kilometer lief. So ist das, wenn es heißt, »mir stockte der Atem«. Ich sagte zu Fandel, dass ich momentan froh sei, dass die Spiele in der Bundesliga einwandfrei liefen, dass die Kritiker momentan nicht viel auszusetzen hätten. Ich erwartete, dass Fandel mir ein persönliches Vier-Augen-Gespräch anbieten würde, eine Perspektive für die Zukunft. Keine Antwort. Ich sagte – unterbrochen von Ausrufen für meinen Flug nach Moskau –, dass er mir die Chance geben solle, zumindest zur Europameisterschaft 2012 in der Ukraine und Polen zu fahren, damit ich meine internationale Karriere mit einem großen Turnier würdevoll abschließen könne. Ich hatte immer noch ein paar Prozent Hoffnung im Hinterkopf. Dabei hoffte ich, dass ich dann zumindest als Torrichter nominiert würde, wie bisher in diversen Champions-League-Spielen.
    Bei den Spielen im Ausland waren von den sechs Schiedsrichtern, die als Torrichter für diesen Pool berücksichtigt waren, vier reine Bundesligaschiedsrichter und zwei FIFA-Schiedsrichter. Ich könnte somit als »reiner« Bundesligaschiedsrichter selbst ohne FIFA-Zugehörigkeit trotzdem zum Einsatz kommen. Fandel hätte hier die Möglichkeit gehabt, mir generös einen ehrenvollen Abgang zu verschaffen, denn zu diesem Zeitpunkt war noch offen, welche Schiedsrichter als Torrichter für dieses Event in Frage kamen. Die nationalen Verbände wie der DFB mit seiner Schiedsrichterkommission haben das Vorschlagsrecht für die Nominierung. Die UEFA stimmt den Vorschlägen in der Regel widerspruchslos zu. Doch ich hörte am Ende der Leitung nur Schweigen. Das Gespräch dauerte keine zwei Minuten. Mein Rausschmiss würde sich in Windeseile herumsprechen. Das war gar nicht zu verhindern, dafür würden Insider schon sorgen, während ich weitab vom Schuss in Moskau keine Gelegenheit hätte, in den Flurfunk einzugreifen und meine Sicht der Dinge einzubringen – oder gar Fürsprecher zu mobilisieren. Genauso hatte Fandel damals nach meiner FIFA-Absetzung auf Nachfrage in einem Interview unkommentiert gelassen und geschwiegen, dass das Argument »altersbedingte Umstrukturierung« bei mir nicht zutreffen würde, da noch fünf weitere Schiedsrichter älter wären als ich.
    Ich stand da in völliger innerer Leere – meine Tasche war auf den Boden gesunken, meine Arme mit dem Handy hingen herunter, ich hatte Tränen der Verzweiflung in den Augen. Wieder die metallene Durchsage: »Letzter Aufruf Lufthansaflug …« Ich raffte mein Ticket und den Ausweis zusammen und wollte loslaufen, aber es war wie in einem Albtraum: Meine Beine versagten den Dienst. Der Kopf befahl »lauf!« – aber die Nervenbahnen gaben den Befehl »nicht mehr weiter!«. Meine Atemlosigkeit, die Tränen der Wut in meinen Augen, die Enttäuschung über diese menschliche Sauerei ließen mir das Herz eng werden. Zu all dem Entsetzen über Fandels Anruf kam noch Angst über das Versagen meines Körpers.
    Ich lief so schwer, als müsste ich eine Betonmauer vor mir herschieben. Ich bekam den Anschlussflug gerade noch. Ich saß zwischen meinen Leuten – aber ich war nicht in diesem Flugzeug. Ich resümierte, wie meine wichtigsten Lebensziele innerhalb kürzester Zeit seit dem Machtwechsel von Roth auf Krug und Fandel zertrümmert worden waren. Und ich sah immer deutlicher, wie planvoll das ganze in der Rückschau wirkte.
    14 Tage nach meinem Flughafentelefonat wurde Mitte September 2011 meine Demission als FIFA-Schiedsrichter veröffentlicht.

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