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Ich schau dir zu: Roman (German Edition)

Ich schau dir zu: Roman (German Edition)

Titel: Ich schau dir zu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paule Angélique
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hatte er es sich in den Kopf gesetzt, meinen Seitensprüngen freien Lauf zu lassen, immer aber unter der Bedingung, dass er den Mann und den Zeitpunkt wählte. Neu war, dass er nicht an den Spielchen teilnahm. Harry wurde zweifellos alt.
    Noch am selben Abend packte er seinen Koffer. Er wollte früh losfahren, noch vor Morgengrauen, damit er gegen Mittag in Paris wäre. Er zündete ein Kaminfeuer an, dann machte er sich in der Küche zu schaffen. Es war ihm wichtig, das Abendessen selbst zuzubereiten. Ich sah ihm immer gern zu, dabei sprachen wir über Belangloses.
    »Lass uns anstoßen – zur Feier meiner Abreise«, schlug er vor. »Würdest du eine Flasche Champagner aus dem Keller holen?«
    Ich ging hinunter. Champagner machte mich fröhlich, und er war ein gutes Schlafmittel. Kaum stand ich vor den Flaschenregalen, da hörte ich, wie die schwere Verbindungstür zur Küche zuschlug. Das Licht ging aus. Ich schauderte.
    »Harry! Harry, hörst du mich? Ich glaube, ich bin hier eingesperrt. Mach auf!«
    Keine Antwort. Ich wollte mich zum Lichtschalter tasten, fand ihn aber nicht. Bei den kalten Mauern stellte ich mir unweigerlich vor, dass hier unten Tiere wären. Ich hatte Angst.
    »Harry, bitte! Wenn das ein Spiel sein soll, dann finde ich es nicht lustig. Komm schon, mach auf!«
    Ich stieg blind die Treppe hinauf und trommelte an die Tür.
    »Es reicht, Harry! Außerdem ist hier der Strom ausgefallen. Ich sehe nichts.«
    Das Schweigen zog sich in die Länge. Plötzlich begriff ich: Harry hatte über Pierre und mich kein Wort verloren, und nun wollte er mir eine Lektion erteilen. Ganz sicher war es so. Immer musste er das letzte Wort haben. Ich müsste nur warten, bis er seine Rache ausgekostet hatte. Ich würde noch einmal mit dem Schrecken davonkommen.
    Langsam bekam ich wirklich Hunger. Im Schein des Oberlichts las ich auf meiner Armbanduhr dreiundzwanzig Uhr zehn ab. Erschöpft ließ ich mich auf einen Stapel Jutesäcke in einer Ecke fallen. Ich war müde und wütend. Da hörte ich, wie der Türriegel angehoben wurde. Ich stand auf und wollte schon auf Harry zustürzen. Sein Gesicht wurde von dem Kerzenhalter in seiner Hand beschienen. In der anderen hielt er etwas, das ich nicht gut genug sehen konnte, um zu erkennen, was es war. Meine Augen, die sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, trogen mich. Doch Harrys Gesichtsausdruck konnte ich erraten: Er sah nicht aus wie jemand, der sich gerade einen schlechten Scherz erlaubt hatte.
    »Du bist blöd!« (Ich zog dieses Register, um mir nichts von der Nervosität anmerken zu lassen, die sein unverwandter, ja ausdrucksloser Blick in mir aufkommen ließ.) »Du bist unmöglich! Ich hasse dich!«
    Nun stand er mir gegenüber. Er stellte den Kerzenhalter auf den Boden und zeigte mir die Handschellen.
    »Armer Harry. Du bist echt krank! Was soll das hier werden, dieses Schreckensszenario?«
    Ich lachte auf, ich glaube, es war ein ziemlich nervöses Lachen. Die Ohrfeige brachte mich ins Wanken. Er packte meine Hände und legte mir die Handschellen an, ohne dass ich reagiert hätte. Das Klicken von Metall ließ mich am ganzen Leib erstarren. Ich bin verloren!, dachte ich. Ich stürzte zu der einzigen Maueröffnung und fing an zu brüllen.
    »Hier können dich, wenn überhaupt, nur Rinder und streunende Katzen hören.« (Er hatte beschlossen, den Mund aufzumachen. In gewisser Weise hat mich das fast erleichtert.) »Ich glaube kaum, dass Monsieur Ayme dir mitten in der Nacht zu Hilfe eilt. Er hat mich übrigens angerufen und mir gesagt, dass er seine Arbeit hier beendet hat. Und ich habe ihm gesagt, dass wir morgen früh abreisen. Du siehst, wir sind jetzt ganz ungestört. Aber schrei nur, wenn es dir guttut.«
    Ich sah, wie er hinter mich blickte. Ich drehte mich um, um zu sehen, was seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Ganz oben an der Decke hing ein Haken aus Stahl, wie ein Fleischerhaken, an den Metzger ihre Fleischhälften hängen. Harry zog seinen breiten Ledergürtel aus. Ich zitterte. Aber er hängte ihn nur an den Haken, um die Höhe auszugleichen. Dann schob er mich direkt darunter, hob meine Arme an und band den Gürtel an die Handschellen. Er zog kräftig daran, um die Reißfestigkeit der Vorrichtung zu testen. Er wich ein Stück zurück und machte ein zufriedenes Gesicht wie ein Handwerker vor einem schönen Werkstück. Ich schluckte. Noch immer versuchte ich, mir mein Herzrasen nicht anmerken zu lassen, das mir die Brust zuschnürte. Harry spielte ein

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