Ich schenk dir was von Tiffany's
Vanessa recht hatte? Wenn er tatsächlich dauernd irgendwelchen Illusionen nachhing? Und wenn er, trotz aller Bemühungen, diese Realitätsferne einfach nicht loswürde?
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Kapitel 5
Rachel drehte sich im Bett um und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
Was sie an Hotelübernachtungen besonders schön fand, waren die dicken Vorhänge – wenn man sie fest genug schloss und den feinen Lichtstreifen unten nicht beachtete, konnte man kaum erkennen, ob Tag oder Nacht war.
Seit sie als Köchin arbeitete und vor allem jetzt, da sie ein eigenes Restaurant besaß, konnte sie sich den Luxus fauler Vormittage nur selten leisten. Sie genoss es, auszuschlafen, wenn sie die Möglichkeit dazu hatte, wobei ihre Auffassung vom Ausschlafen allerdings von der landläufigen Vorstellung abwich. Wenn man normalerweise um sechs Uhr morgens in der Küche an der Arbeit war, dann war es schon ein besonderer Genuss, bis acht im Bett liegen zu können.
Sie war heute Morgen um sechs aufgewacht und hatte nur Gary im Sinn gehabt und dass sie ihn ganz schnell im Krankenhaus besuchen wollte. Doch dann hatte sie überlegt, dass es noch viel zu früh war, vor allem heute am Weihnachtstag. Also hatte sie es sich noch für ein paar Stündchen gemütlich gemacht, mit Garys Kissen gekuschelt, gedöst und von ihm und ihrer baldigen Verlobung geträumt.
Nachdem Rachel sich an einem letzten Bild von sich selbst in Weiß erfreut hatte, öffnete sie die Augen. Sie streckte die Arme von sich, betrachtete ihre linke Hand und stellte sich diesen atemberaubend schönen Diamantring an ihrem Ringfinger vor. Am liebsten wäre sie gestern Abend damit schlafen gegangen, aber dann hatte sie wegen ihres Fundes doch ein dermaßen schlechtes Gewissen gehabt, dass sie ihn schließlich in seine kleine blaue Schachtel zurückgelegt hatte.
Als Rachel jetzt aus dem Bett sprang, merkte sie, wie sehr ihre Freude von Schuldgefühlen getrübt wurde. Sie hätte nicht in den Einkaufstaschen stöbern dürfen, und vor allem hätte sie die Finger von der Tiffany’s-Schachtel lassen sollen. Aber wenn sie sich vorstellte, sie hätte die Schachtel nicht geöffnet …
Nein. Rachel biss sich auf die Lippe und warf ihrem Spiegelbild ein verschmitztes Lächeln zu. Sie musste kein schlechtes Gewissen haben, und sie würde es wieder so machen. Es war eine wunderbare Überraschung gewesen, vor allem nach dem Schock und der Sorge wegen Garys Unfall. Und ziemlich romantisch war es ja auch, wenn man sich’s genau überlegte: Sie war am Heiligen Abend ganz allein gewesen und hatte rein zufällig entdeckt, dass Gary ihr einen Heiratsantrag machen wollte! Es war wie im Märchen und schöner, als Rachel es sich je erträumt hätte.
Aber die größte Überraschung war wohl, dass Gary sie noch mehr liebte, als ihr bewusst gewesen war. Ja, sie hatten viel Spaß zusammen, und sie liebte ihn, aber weil Gary sie seiner Familie noch nicht vorgestellt hatte, hatte sie nicht recht gewusst, wie ernst es ihm mit ihrer Beziehung war. Familie war Rachel wichtig. Sie selbst war Einzelkind und hatte ihre Eltern bereits verloren. So gern sie Garys Eltern kennengelernt hätte, sie vermutete, dass er mit dieser Begegnung noch wartete, bis ihm der Zeitpunkt richtig erschien. Mit einem Heiratsantrag hatte sie überhaupt nicht gerechnet, und am allerwenigsten mit einem so wertvollen Ring! Der Diamant war so groß und so schön geschliffen, dass einem fast die Augen aus dem Kopf fielen. Und er war von Tiffany’s, hatte also bestimmt ein Vermögen gekostet. Wer hätte das gedacht?
Außerdem hatte alles einen Grund, überlegte Rachel. Vielleicht hatte sie die Schachtel gefunden, damit sie ihre Bedenken hinsichtlich der Beziehung mit Gary vergessen konnte?
Sie betrachtete die Einkaufstüten in der Zimmerecke und kam zu dem Schluss, dass sie sich den Ring einfach noch einmal anschauen musste. Oh Gott, wenn sie sich vorstellte, dass sie ihn ihr Leben lang am Finger tragen würde!
Rachel war euphorisch. Obwohl sie die Schachtel jetzt schon zum zweiten Mal öffnete, blieb ihr vor Staunen die Spucke weg. Form und Fassung waren unglaublich schön, und im Tageslicht und mit klarem Kopf erschien ihr der Diamant noch viel größer als mit dem Schwips der letzten Nacht.
Wieder war sie ein wenig erschrocken, weil Gary Tausende für so einen funkelnden Klunker ausgegeben hatte, ohne jemals auch nur aufs Heiraten angespielt zu haben. Seltsam war auch, dass er sich auf dem Hinflug beklagt hatte, weil er
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