Ich schnapp' mir einen Mann
ihm – links von Tamara – stand
die halb leere Moet-&-Chandon-Flasche im Kühler auf dem
Nachttisch, zusammen mit den beiden Gläsern, und die röhrenförmige
Designerlampe daneben erfüllte den ganzen Raum mit romantischem Licht.
Aus den Bang-&-Olufsen-Boxen rechts und links neben dem Bett
tönte ein Schmachtsong von der neuen Kuschelrock-CD. Es stimmte alles:
Atmosphäre, Temperatur, Stimmung, Schwingung, Tempo …
Als Anton zwischendurch die Augen öffnete, hatte er den
absurden Eindruck, dass Tamara hinter seinem Rücken auf die Uhr
blickte, anstatt vor Leidenschaft seine Haut zu zerkratzen. Das war
natürlich Blödsinn. Ihre Hände waren hinter seinem Rücken, doch sie
kratzte ihn nicht – kratzte ihn schon lange nicht
mehr –, aber warum sollte sie auf die Uhr schauen? Sie blickte
mit weit geöffneten Augen über seine Schulter zur Decke hoch. Wohin
sonst. Die Starre in ihrem Blick war Lust, wachsende, wilde Lust,
nichts anderes.
Anton verdoppelte seine Bemühungen, und Tamara verfiel in ein
gutturales, lautes Stöhnen. Ein Mann mit weniger Erfahrung hätte
vielleicht glauben können, dass es einstudiert klang, doch Anton wusste
es natürlich besser. Er war ein leidenschaftlicher, fantastisch
einfühlsamer Liebhaber, das hatte Tamara selbst gesagt.
»Ah-Ah-Ah-Pfffschsch!«, stöhnte sie.
»Aha-aha-pfffschsch-ooohhh-duuu!«
»Ja, Liebling, ich bin hier!«, flüsterte Anton, ergriffen von
ihrer enthusiastischen Reaktion und seinen Fähigkeiten, Tamara zu
solcher Ekstase hinzureißen.
Urplötzlich und für Anton völlig unerwartet kam sie mit einem
enormen Aufschrei zu einem heftigen, aber kurzen Orgasmus und warf
Anton einen Sekundenbruchteil später mit einem Ruck ab.
Anton blieb benommen liegen und fuhr verdattert zusammen, als
sie im nächsten Augenblick aus dem Bett sprang und pfeifend ihre
Unterwäsche vom Boden aufsammelte. »Das war echt toll, Anton. Aber
jetzt muss ich weg.«
»Moment, ich hatte doch noch gar nicht … Ich meine,
ich war doch überhaupt noch nicht …« Er verstummte linkisch.
»Manchmal sind Frauen eben eher fertig«, sagte Tamara in
friedfertigem Ton.
Anton setzte sich auf. Er fühlte sich schlaff und ausgelaugt.
Seine Erregung war wie weggeblasen. Mit zittrigen Fingern nahm er sein
Champagnerglas vom Nachttisch und nippte daran. Bitter und schal. In
seinem Magen rumpelte es auch schon wieder. Anton starrte in die
perlende Flüssigkeit und fühlte sich elend wie der König von Thule. »Wo
willst du denn überhaupt so spät noch hin?«
Tamara schlüpfte in einen apfelgrünen, spitzenbesetzten Slip.
Sie liebte Dessous in kräftigen Obstfarben. »Zum Vorsprechen.«
»Aber Tamara, du hast doch heute Abend schon …«
»Nein, nein, das, was gleich noch läuft, ist was anderes. Eine
total avantgardistische Experimentalbühne. Was echt Neues, mit ganz
kleinem Ensemble.«
»Diese Sache mit den Farben?«
Tamara nickte lächelnd, hakte ihren apfelgrünen, zum Slip
passenden Wonderbra zu und stolzierte hüftschwingend aus dem Zimmer,
Jeans und T-Shirt unterm Arm.
Dreißig Sekunden später hörte Anton die Klospülung rauschen,
und wieder dreißig Sekunden danach die Wohnungstür ins Schloss fallen.
Frustriert ließ er sich zurück auf die Matratze sinken. Das sanft
wogende Wasser beruhigte ihn normalerweise, doch heute Abend gab es ihm
nur das Gefühl, sich auf einem sinkenden Schiff zu befinden.
Eisen-
und Geldmangel
I m Wartezimmer des Gynäkologen herrschte
wieder Hochbetrieb. Flora blätterte lustlos in dem Eltern-Heft und
überschlug, wie lange sie noch würde warten müssen. Vor ihr kamen drei
Schwangere dran (zehn Minuten Besprechung und Untersuchung für jede,
hoffentlich ohne Ultraschall, das dauerte immer fünf Minuten länger)
und zwei Frauen Mitte fünfzig (zwölf Minuten für jede, mindestens, die
beiden sahen aus, als wollten sie stundenlang über ihre
Wechseljahrebeschwerden lamentieren), außerdem ein junges Mädchen (die
brauchte sicher bloß die Pille, das würde schnell gehen, vielleicht
sieben Minuten) und schließlich ein Vertreter. Der konnte hier sitzen
bleiben und warten, bis er schimmelte, das wusste Flora aus Erfahrung.
Die Vertreter nahm Dr. Neumeister immer erst dran, wenn er alle Frauen
durchhatte.
Blieb aber immer noch eine Wartezeit von ungefähr einer
Stunde. Ohne die Zeit auf der Liege, dem Besprechungsstuhl und in der
Umkleidekabine.
Zwei der Schwangeren hatten ihre Kleinkinder mitgebracht,
niedliche Knirpse, ungefähr zwei Jahre
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