Ich schnapp' mir einen Mann
bekanntlich machtlos.
Der Frust war vergessen, als Flora geraume
Zeit später auf der Untersuchungsliege lag und glückselig das weiße,
grobkörnige Geflimmer auf dem Bildschirm des Ultraschallgeräts
beobachtete. Dr. Neumeister hatte den Monitor so aufgestellt, dass
nicht nur er, sondern gleichzeitig auch die Schwangeren das Baby
betrachten konnten.
Wie immer erläuterte Dr. Neumeister Flora anschaulich, was er
sah. Oberschenkelknochen, Wirbelsäule, Nieren, Blase, Herz. Alles
winzig klein und doch so vollkommen. Im vierten Monat hatte er Flora
gefragt, ob sie auch wissen wollte, wie es zwischen den Beinchen
aussehe. Flora hatte Nein gesagt. Sie wollte sich überraschen lassen.
Mit verzücktem Seufzen sah sie das Herz des Babys schlagen, es
bewegte sich pumpend, wie ein flatternder kleiner Vogel, doppelt so
schnell wie ihr eigenes Herz. Dr. Neumeister wies sie auf eine andere
Stelle hin, und fasziniert nahm Flora als Nächstes wahr, wie der
winzige Daumen in den Mund geschoben wurde.
Dr. Neumeister lachte freundlich. »Ich liebe diesen Beruf«,
sagte er.
»Das würde mir genauso gehen«, erwiderte Flora glücklich.
»Warten Sie erst, wenn das Baby geboren ist. Wenn Sie es zum
ersten Mal in den Armen halten, es sehen, es fühlen, es riechen
können – für diesen Augenblick würden Sie alles hingeben.«
Mein eigenes Leben, dachte Flora. Sofort und ohne zu zögern.
»Sie haben auch Kinder, oder?«, fragte sie unvermittelt.
»Drei Töchter«, sagte er stolz.
Flora gab es einen Stich, erst recht, als er sagte: »Auf Ihre
Entbindung freue ich mich wirklich. Ich weiß, dass Sie eine wunderbare
Mutter sein werden.« Er suchte mit der Sonde eine andere Stelle auf
ihrem Bauch. »Vielleicht lerne ich ja dann auch endlich den Vater
kennen.«
Dazu sagte Flora nichts. Sie fröstelte ein wenig, als der
Schallkopf in der glitschigen Pfütze des Kontaktgels auf ihrem
Unterleib gedreht wurde.
»Der Kopf«, sagte Dr. Neumeister. »Das sind jetzt …
Moment … neun Komma acht Zentimeter von Schläfe zu Schläfe. So
in etwa zwei bis drei Wochen sind wir so weit, würde ich sagen.«
Er hängte den Schallkopf ein, drückte auf einen Knopf und ließ
das Foto hervorsurren, das während der Untersuchung vom Gerät
angefertigt worden war. Flora nahm es und betrachtete es. Es war das
Daumenlutschbild.
»Wir sehen uns gleich noch mal in meinem Sprechzimmer«, sagte
Dr. Neumeister, schon auf dem Weg zur nächsten Patientin.
Flora zog sich in der Kabine an und wartete, bis die
Sprechstundenhilfe kam, um sie ins Sprechzimmer zu bitten. Dort wartete
sie wieder, fast zehn Minuten, bis der Arzt endlich Zeit für sie hatte.
»Tut mir Leid, dass Sie warten mussten«, sagte er.
Flora nickte. Sie musste jedes Mal warten (im Schnitt eine
Stunde im Wartezimmer, zehn Minuten auf der Liege, zehn Minuten im
Besprechungszimmer), aber Dr. Neumeister entschuldigte sich immer
dafür, als würde es beim nächsten Mal nicht mehr vorkommen.
»Die Untersuchungsergebnisse des Kindes sind so weit alle
unauffällig, Frau Zimmermann. Nur …«
»Ja?«, fragte Flora atemlos, erschrocken. Bitte, bitte, lieber
Gott, lass es nichts Schlimmes sein, dachte sie.
»Sie haben nicht genug zugenommen. Sie wissen doch, wie
wichtig eine gesunde, ausgewogene Ernährung in der Schwangerschaft ist.«
Flora stieß die Luft aus. Wenn es nur das war …
Doch Dr. Neumeister schien ihre Gedanken zu lesen und
schüttelte ernst den Kopf. »Nehmen Sie das nicht auf die leichte
Schulter, Flora. Fehlernährung in der Schwangerschaft geht immer auch
auf Kosten des Kindes. Im Unterschied zum letzten Mal deuten Ihre
Blutwerte außerdem auf eine leichte Anämie hin. Ein Zeichen dafür, dass
Ihnen etwas fehlt.«
»Anämie? Was bedeutet das?«, fragte Flora ängstlich.
»In Ihrem Fall: Eisenmangel.«
»Aber dagegen kann man doch was machen, oder? Ich würde alles
tun. Alles!«
Der Arzt lächelte beruhigend. »Vor allen Dingen müssen Sie
anständig essen, Flora. Gönnen Sie sich ruhig mal was richtig Gutes.
Ein dickes Steak. Eine große Portion Lachs oder Hummer. Das ist genau
das, was Ihr Körper jetzt in diesen Wochen dringend braucht. Vergessen
Sie nicht, dass Sie für die Zeit nach der Entbindung noch was zum
Zusetzen brauchen. Sonst fallen Sie mir noch beim leisesten Windhauch
um. Ach ja, noch was. Bewegen Sie sich viel an der frischen Luft.« Er
zog seinen Rezeptblock heran. »Und nehmen Sie unbedingt täglich die
Tabletten, die ich Ihnen aufschreibe.«
Er riss
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