Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich schnapp' mir einen Mann

Ich schnapp' mir einen Mann

Titel: Ich schnapp' mir einen Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
Vom Netzwerk:
Reste in den Mund, kaute, schluckte, aß schneller,
konnte nicht genug davon bekommen. Das war erst recht beschämend. Jetzt
hasste sie diesen Typen doppelt.
    Während sie die letzten Bissen herunterschlang, flossen schon
wieder die Tränen, und als sie zum Nachtisch eine der Pillen zerkaute,
die Dr. Neumeister ihr verordnet hatte, heulte sie so laut, dass sie
fast an den Tablettenkrümeln erstickt wäre.
    Am nächsten Morgen machte Flora sich nach
einer eiskalten Dusche mit dem Elan einer kaputten Marionette daran,
ihren hausfraulichen Pflichten nachzugehen. Sie entsorgte Müll, saugte
Staub, putzte das Bad, zog Bettwäsche ab.
    Während sie im Schlafzimmer schmutzige Wäsche sortierte, fiel
ihr aus einer von Heiners farbverschmierten Jeans ein Fünfmarkstück vor
die Füße. Sie ging in die Knie und hob es gierig auf. Dann fing sie an,
wie eine Furie Heiners Klamotten zu durchwühlen, alle Jacken, Hemden,
Hosen, die ihr in die Hände fielen, ob sauber oder schmutzig. Ihre
Ausbeute konnte sich sehen lassen: Achtunddreißig Mark! Flora wurde
wütend. Himmel noch mal, was war los mit ihr? Seit wann hatte sie
diesen gierigen, kleinlichen Charakter? War sie etwa schon immer so
gewesen?
    Flora beschloss, nicht darüber nachzudenken, sondern sich
stattdessen über die unverhoffte Finanzspritze zu freuen.
    Sie legte das Geld zur Seite, wandte sich dem Berg von
Schmutzwäsche zu und fuhr fort mit ihrer Sortierarbeit. Plötzlich hielt
sie inne. Ging in die Knie. Zog das Ding, das sie gerade eben aus einer
von Heiners schmutzigen Boxershorts hatte hervorblitzen sehen, langsam
mit zwei Fingern aus dem Klamottenberg. Hielt es hoch. Starrte es an
wie eine giftige grüne Schlange. Eine giftige, apfelgrüne
Wonderbra-Schlange. Mit currygelben Klecksen.
    Während der Busfahrt dachte sie nicht
darüber nach, was sie zu ihm sagen würde. Sie war überhaupt nicht
imstande, sich irgendwelche Worte zurechtzulegen. Dafür war sie zu sehr
damit beschäftigt, die grün-gelbe Schlange anzustarren, die sie
unablässig in ihren Händen drehte und wendete und zusammenknüllte. Sie
zerrte und zwirbelte und würgte diese eklige Wonderbra-Schlange, bis
sie nur noch einen labbrigen Fetzen in der Hand hatte. Der einzige
klare Gedanke, den Flora während der ganzen Fahrt fassen konnte, war:
Ihr Busen ist kleiner als meiner.
    In ihrem ganzen Gefühlsaufruhr war diese Tatsache der einzige
Anker, der sie daran hinderte, wie ein leckgeschlagenes, voll
gelaufenes Schiff auf Grund zu gehen.
    Von der Zielhaltestelle bis zum Atelier hatte sie etwa fünf
Minuten zu laufen. Sie brachte den Weg wie in Trance hinter sich und
kam nur einmal kurz zur Besinnung, als sie an der Bankfiliale
vorbeikam, die sich ebenfalls in dieser Gegend befand. Flora machte
sich keine Gedanken darüber, ob dies ein gutes oder ein schlechtes
Zeichen war. Sie fragte sich lediglich, ob sie Heiner überhaupt im
Atelier antreffen würde. Doch dieser Sorge wurde sie enthoben, als sie
um die nächste Ecke bog und den Buckelvolvo vor der alten Lagerhalle
stehen sah. Die Eingangstür des Gebäudes quietschte rostig in den
Angeln, als Flora sie aufdrückte. Vom Haupteingang aus musste sie durch
endlose dreckige Gänge marschieren, kilometerweit, wie es ihr schien.
Dann ging es zwei Treppen aus gelochtem Stahl hoch und nochmals durch
einen Gang. Außer Heiner hatten zwei oder drei andere hoffnungsvolle,
aber finanziell eher dürftig ausgestattete Künstler in diesem Teil des
alten Gebäudes ihre Schaffensstätten untergebracht.
    Ganz am Ende dieses Ganges lag Heiners Atelier.
    Flora kam es vor, als würde sie gleichsam auf die Tür
zutreiben, als glitte sie wie auf einer unsichtbaren Schiene näher,
unaufhaltsam, bis der kalte Knauf in ihrer Hand lag und sich scheinbar
ohne ihr Zutun drehte. Die Tür ging auf, und Flora schwebte wie eine
mit Gas gefüllte Kugel hinein. Sie stolperte über ein Hindernis und
gewann sofort ihre irdische Schwere zurück. Fluchend knallte sie auf
den harten Boden. Zum Glück konnte sie sich rechtzeitig abstützen; bis
auf eine leichte Abschürfung am linken Handballen tat ihr nichts weh.
Sie rappelte sich hoch und erkannte in dem dämmerigen Vorraum, worüber
sie gefallen war: eine voluminöse Tasche aus schwarzem Wildleder, die
sich bei ihrem Sturz geöffnet hatte. Einige Gegenstände waren
herausgefallen. Flora sammelte sie automatisch ein und schob sie in die
Tasche zurück, nur unbewusst wahrnehmend, was für Gegenstände das
waren: ein dicker Theaterführer,

Weitere Kostenlose Bücher