Ich schnapp' mir einen Mann
weg. Das fehlte noch, dass er sich von einer Schwangeren im
neunten Monat angemacht fühlte! Eine hochschwangere Frau hatte so viel
Sexappeal wie eine Kartoffel. Höchstens.
»Ich wünschte, ich könnte das alles aufschreiben«, platzte
Flora heraus. Ihre Augen leuchteten. »Das ist … Das ist
einfach irre!«
»Der passende Ausdruck.«
»Nein, ich meine diese … Szenerie eben. Das war
beinahe kafkaesk! Anton … Ich darf doch Anton und Du zu Ihnen
sagen, oder?«
Da er nichts entgegnete, setzte sie voraus, dass sie per Du
waren.
»Ich bin Flora.«
»Ich weiß.«
»Kannst du mir deinen Laptop borgen?«
Sie war also eine von denen, die, wenn man ihnen den kleinen
Finger bot, gleich den ganzen Arm nahmen. Und den Laptop dazu.
Lass sie dich duzen, und sie wollen alles, was dir gehört,
sinnierte Anton. Vielleicht ließ sie das Thema einfach fallen, wenn er
nichts dazu sagte.
»Du hast doch einen Laptop, oder?«
Nur nicht antworten.
»Ich hab heute Morgen in der Bank gesehen, dass du einen
dabeihast. Er ist dir auf den Fuß geknallt, und du hast ihn mit deinem
anderen Kram aufgehoben und in diesen großen schwarzen Mantel
gewickelt.«
»Nicht Mantel. Robe.«
»Meinetwegen. Darf ich? Ich mach auch nichts kaputt!«
Anton deutete ergeben mit dem Kinn über die Schulter auf die
Rücksitze. Dort hatte er seine Siebensachen einigermaßen ordentlich
platziert, nachdem Flora die Güte besessen hatte, sie nicht länger als
Sitzunterlage zu benutzen.
Flora brannte darauf, zu schreiben. Es war wie eine
phasenweise auftretende Sucht, die von innen her an ihr fraß und sie
vereinnahmte, bis für nichts anderes mehr Raum war. Flora kannte diesen
Zustand, der dem Verlangen des Quartalssäufers nicht unähnlich war. Er
bemächtigte sich ihrer in unregelmäßigen Abständen, und wenn es erst so
weit war, konnte sie nichts, absolut nichts dagegen tun. Dann hob sie
ab und flog. Ihr Körper war noch da, hinter ihrer Tastatur, doch ihr
Geist und ihre Seele waren woanders, in fremden, zauberhaften,
unbeschreiblich berauschenden Regionen. Dort lebten besondere Menschen
in einer besonderen Welt, sie sprachen eine besondere Sprache und
dachten besondere Gedanken. Flora lebte und sprach und dachte mit
ihnen, sie war es, die ihre Geschicke lenkte, die sie lachen, weinen,
lieben, sterben ließ.
Es war ihre Welt, ihr ureigenes Universum. Sie war Schöpferin
und Herrscherin dieses Reichs. Mit einem Federstrich konnte sie ihre
Welt entvölkern oder neu erschaffen. Doch sie war zugleich auch
Sklavin, war abhängig davon wie ein Junkie von der Nadel. So, wie sie
oft still dasaß und auf die Bewegungen ihres Kindes wartete (und dabei
dachte: Lebt es noch? Ist es noch da? Hat es sich in der letzten Stunde
überhaupt geregt?), so fieberte sie häufig den Augenblicken entgegen,
in denen sich die Euphorie einstellte, der Zwang, die Finger über
Tasten zu bewegen, Worte zu finden wie Schlüssel, die ihr die Türen zu
ihrer Welt aufschlossen. Und dann die Magie, durch diesen Korridor zu
tauchen und drüben zu bleiben. Gefangen und doch vollkommen frei. Für
Stunden, manchmal für Tage.
Jetzt war einer dieser raren Augenblicke da, von denen
niemand, am allerwenigsten Flora selbst, sagen konnte, wie lang sie
dauerten. Die Sucht hatte jedenfalls für den Moment alles andere
verdrängt und wollte befriedigt werden. Das duldete keinen Aufschub.
Flora atmete verzückt durch und reckte sich nach hinten, verrenkte
sich, um an Antons Notebook zu kommen. Ihr dicker Bauch drückte sich
gegen seine Hand am Steuer, klemmte sie fest. Sie versuchte es anders
und presste ihren Bauch dabei gegen seinen Oberschenkel. Anton, der
vergeblich versuchte, auszuweichen, gewann den Eindruck von warmer,
fester Konsistenz.
Da drin, dachte er, war ein lebendiger kleiner Mensch, der in
Kürze auf der Welt sein würde …
Anton starrte stur geradeaus in den Regen. Diesen
sentimentalen Quatsch sollte er sich besser gleich aus dem Kopf
schlagen. Er sollte sich lieber überlegen, wie er diese Person auf
elegante Art und so rasch wie möglich wieder loswurde.
Endlich hatte Flora das Notebook nach vorn geholt, auf ihre
Knie praktiziert, aufgeklappt und in Betrieb gesetzt.
»Pentium Prozessor?«, fragte sie ehrfürchtig.
Anton nickte. »Zweihundertdreiunddreißig Megahertz mit MMX,
DVD, Dolby Digital Audio, Speicherplatz zehn Komma zwei Gigabyte.«
»Wow!«, rief Flora.
»Er ist so gut wie neu«, gab Anton zu bedenken.
»Keine Sorge«, meinte sie, während sie ihre
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