Ich schnapp' mir einen Mann
MP-Läufe waren leistungsstarke Teleobjektive.
Die Mafia-Schergen waren Mafia-Schergen.
»Presse!«, schrie Flora.
»Ich bin nicht blöd und nicht blind!«, schrie Anton zurück.
Die Meute war schneller beim BMW als Anton und Flora. Zwei der
rasenden Reporter versperrten Anton den Weg zur Fahrertür, zwei andere
blockierten die Beifahrerseite. Der fünfte bezog Posten an der hinteren
Stoßstange, als könnte es Anton oder Flora einfallen, durch den
Kofferraum einzusteigen. Der Reporter kletterte auf den
Kofferraumdeckel, hob seine Kamera und schoss ein Dauerfeuer von
Blitzen ab.
Die anderen brüllten von allen Seiten auf Flora und Anton ein.
Drei der Männer gehörten offensichtlich zu einem Fernsehteam. Einer
hatte eine Kamera im Anschlag, ein anderer schleppte einen Kasten mit
Reglern und einen Scheinwerfer über der Schulter, der nicht richtig zu
funktionieren schien, und der dritte machte Anstalten, Flora ein
überdimensionales Mikro in den Mund zu stecken. Es war von einem
scheußlichen Bananengelb und hing an einer langen Stange.
»Bitte!«, rief Flora.
Der Bananenhalter mochte sich anscheinend nicht festlegen, ob
sie bitte ja oder bitte nein meinte. Er entschied sich für Ersteres und
ließ das Mikro an Ort und Stelle.
Anton erkannte zu seinem größten Unbehagen den Typ, der ihn
schon mehrfach im Gericht genervt hatte. Schartenbrink. Seine täglichen
blutrünstigen News waren das Markenzeichen im Vorabendprogramm eines
großen Privatsenders.
»Wie ist Ihr gesundheitlicher Zustand?«, schrie Schartenbrink
Flora an. »Hat der Entführer Sie sexuell belästigt?«
Seine Frage kam nicht von ungefähr. Schartenbrink war ein
Journalist, der genau wusste, was im TV gefragt war. Verbrechen kam an
erster, Sex an zweiter, Gesundheit an dritter Stelle aller Quotenhits.
Die Kombination aller drei Themen war folglich absolut unschlagbar. Ein
Straßenfeger.
Gesundheit war dabei im weitesten Sinne zu verstehen; das
hatte nichts mit Rheumakissen oder Kariesprophylaxe zu tun. Hierzu
zählte vielmehr totgeschossen oder mit dem Rasiermesser verunstaltet zu
werden, sturzbetrunken in einen offenen Gully zu fallen oder, was für
ein Schmankerl, hochschwanger von einem verbrecherischen Anwalt
entführt und sexuell missbraucht zu werden.
»Mir geht es gut«, sagte Flora.
Doch das interessierte natürlich niemanden.
Das gelbe Mikro wurde über den Wagen gereckt und Anton vor die
Nase gehalten.
»Wie können Sie es mit Ihrem Gewissen als Anwalt und als Mann
vereinbaren, eine schwangere Frau als Geisel zu halten?«, brüllte
Schartenbrink ihm zu.
Anton ahnte dunkel, dass seine Antwort von untergeordneter
Bedeutung war.
Er erinnerte sich, dass Schartenbrink vor zwei Jahren in einen
handfesten Fälschungsskandal verwickelt gewesen war. Er hatte seinem
Sender so genannte Fakes angedreht. Eins über einen nekrophilen
Totengräber beim liebevollen Waschen der Objekte seiner Begierde, ein
weiteres über einen marihuanazüchtenden Staatssekretär beim
Unkrautjäten auf seiner Plantage im Allgäu und schließlich ein letztes
über einen Anwalt, der jede freie Minute als Offizier der Heilsarmee
verbrachte. Über dieses letzte Fake war Schartenbrink gestolpert, es
enthielt wohl selbst für den gutgläubigsten Redakteur zu starken Tobak.
Totengräber, Staatssekretär und Anwalt – alle drei verfremdet
dargestellt – entpuppten sich als bestochene Schauspieler und
Schartenbrink als Betrüger.
Die Kanzlei Schnellberger hatte sich seinerzeit für den Fall
interessiert, weil er gute Profilierungsmöglichkeiten bot, doch jemand
von der Konkurrenz hatte damals das Rennen gemacht. Schartenbrink war
mit einer saftigen Geldstrafe und einem Jahr auf Bewährung
davongekommen, und man munkelte, dass eben jener Sender, der auf die
Fakes reingefallen war, derselbe Sender, der nach dieser Schmach
lautstark in der Öffentlichkeit den Verfall journalistischer Tugenden
bejammert hatte, dass dieser nämliche Sender ohne zu murren alle Kosten
inklusive der Geldstrafe aus eigener Schatulle berappt hatte.
Mittlerweile war längst Gras über die Sache gewachsen, und
Schartenbrink saß fester im Sattel denn je. Wer heutzutage beim
Fernsehen mitmischte, durfte ruhig Dreck am Stecken haben. Ein bisschen
Steuerhinterziehung hier und ein bisschen Trunkenheit am Steuer
da – was war das schon? Schwindelei und Betrug an den
Zuschauern zählten erst recht nicht. Was hochrangigen Politikern recht
war, konnte TV-Machern nur billig sein. Hauptsache, die
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