Ich schnapp' mir einen Mann
war, dann sagte er das Nächstbeste, das ihm einfiel. »Sie
haben Ihre Diskette vergessen.«
Sie wiederum wartete, bis er losgefahren war, bevor sie das
Nächstbeste sagte, das ihr einfiel.
»Du«, sagte sie. »Du hast deine Diskette vergessen.«
Während der Weiterfahrt las Flora, was sie
zuletzt geschrieben hatte. Ihre Geschichte war an einem wichtigen
Wendepunkt angelangt, der bis dahin in ihrer Vorstellung überhaupt noch
nicht angelegt gewesen war. Erstaunt hatte sie festgestellt, dass für
die Krise am Ende des Romans ungeahntes Potenzial in den Figuren
steckte. Florinda, ihre Protagonistin, hatte zudem Hilfe von
unerwarteter Stelle bekommen. Ein Jurastudent italienischer Abstammung
namens Antonio hatte sich auf ihre Seite geschlagen und half ihr, die
auf sie angesetzten Killer des Don nach und nach auszuschalten. Flora
empfand es allerdings als dramaturgisch mangelhaft, dass Antonio,
gemessen am Umfang des bisherigen Romans, doch erst recht spät auf der
Bühne des Geschehens erschien. Sofort waren ihr etliche Sequenzen aus
den Fingern geflossen, die ihn schon am Anfang einführten. Ein
Leichtes, seinen Part sukzessive, Kapitel für Kapitel, weiterzuführen!
Wenn sie es recht bedachte, nahm sich sogar der eigentliche Held, ein
eher körperbetonter Typ namens Enrico, dessen Hauptvorzüge enorme
Bizepse und Waschbrettbauch waren, gegenüber Antonio erschreckend
farblos aus. Flora sann über Mittel und Wege nach, Enrico trotz allem
besser herauszuarbeiten und beschloss spontan, ihn als Antagonisten
aufzubauen, der am Ende entlarvt und seiner verdienten Eliminierung
zugeführt werden würde.
Sie überflog die letzten Worte des neuen Kapitels, das sie
bereits in groben Zügen ergänzt und um Antonios Rolle erweitert hatte.
Antonio und Florinda drängten sich an den
sensationslüsternen Reportern vorbei und sprangen in den Wagen, just in
derselben Sekunde, als der Streifenwagen mit heulenden Reifen um die
Ecke schoss. Sie entkamen nur um Haaresbreite.
»Das war knapp, Darling«, keuchte Antonio.
Nein, dachte Flora kritisch. Das war zu früh. So weit waren
die beiden noch nicht. Sie entfernte das Darling und
ersetzte es durch oder?
»Was nun, Florinda?«
»Wir müssen den Wagen loswerden, Antonio«, erwiderte
Florinda. »Er ist viel zu auffällig. Die Bullen fahnden doch längst
nach dem Kennzeichen. Warum, glaubst du, sind sie vorhin so mir nichts,
dir nichts vor dem Lokal aufgetaucht? Sie haben einen heißen Tipp
gekriegt!«
Flora war mehr als zufrieden. Sie war begeistert!
Authentizität und Dichte der Handlung waren nicht mehr zu steigern! Sie
seufzte glücklich und machte sich daran, den Plot des nächsten Kapitels
zu entwerfen. Hier sollte Enrico sein wahres Gesicht zeigen. Florinda
würde zunächst ihm gegenübertreten müssen, bevor sie sich im Endkampf
mit dem grausamen Don messen konnte. Die Frage war nur, wie Antonio auf
ihre Absicht reagierte, Enrico die Stirn zu bieten …
»Du bleibst aber auf jeden Fall hier im Wagen.«
»Hm?«, fragte Flora zerstreut. Dieser Punkt erwies sich als
überraschend schwierig. Antonio würde alles daransetzen, Florinda das
Heft aus der Hand zu nehmen, erst recht, wenn es um dieses Schwein
Enrico ging. Das erforderte eine Menge Fingerspitzengefühl.
»Wir machen es so: Du wartest im Wagen, ich geh rauf und rede
erst mal mit Tamara.«
Flora blickte augenblicklich auf. »Tamara? Ist das deine Frau?«
»Das geht dich nichts an.«
Flora stellte fest, dass sie angehalten hatten und vor einem
nobel aussehenden Apartmenthaus parkten. Sie speicherte rasch ihre
Eingaben ab und klappte das Notebook zu.
»Wohnst du hier?«
»Nein, in dem Haus da drüben.« Er zeigte auf ein ganz
ähnliches Gebäude etwa zweihundert Meter weiter. »Du wartest hier, bis
ich wiederkomme.«
»Moment«, hielt Flora ihn zurück. »Was ist, wenn die Bullen
das Haus überwachen?«
»Das tun sie nicht.«
»Und warum hast du dann in sicherer Entfernung geparkt?«
Anton wurde rot. »Das ist nur zur Vorsicht.«
»Gib zu, du glaubst, dass deine Wohnung überwacht wird!«
»Blödsinn. Niemand überwacht die Wohnung. Und weißt du auch,
wieso?«
»Klar. Schließlich schreibe ich Krimis.« Dann sagte sie, ohne
auch nur einmal Luft zu holen: »Du glaubst, sie überwachen das Haus
nicht, weil sie meinen, dass du viel zu schlau bist, um hier
aufzukreuzen, denn du kannst dir ja an allen zehn Fingern abzählen,
dass sie das Haus überwachen, also können sie es sich genauso gut
sparen. Aber du
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