Ich schnapp' mir einen Mann
halbem Ohr. »…
gelang es den flüchtigen Verdächtigen am frühen Abend, trotz hohen
Polizeiaufgebots erneut zu entkommen. Die Lebensgefährtin des
mutmaßlichen Bankräubers, die Schauspielerin Tamara Berger, sagte
gegenüber den Ermittlungsbehörden aus, dass die hochschwangere Flora
Zimmermann freiwillig mit dem Tatverdächtigen unterwegs sei. Damit
bestätigt sich eine Aussage Zimmermanns anlässlich eines
Presseinterviews während ihrer Flucht, der zufolge sie mit dem
Tatverdächtigen Dr. Anton Winkler den Raub in einer spontanen Aktion
gemeinsam begangen habe …«
Sieh mal an, dachte Flora, während das Gedudel des
Verkehrsfunks einsetzte. Schauspielerin war diese Wonderbra-Schlange
also. Das hätte sie sich denken können, so wie die sich produziert
hatte! Wahrscheinlich übte sie dieses So-tun-als-ob seit Jahren, es war
ihr schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie sich gar nicht
mehr normal verhalten konnte, selbst wenn sie gewollt hätte.
Flora drehte das Radio aus und las stumm, was sie zuletzt
geschrieben hatte.
Ihr war kalt, und sie hatte Hunger. Wohin würde ihre
Flucht sie als Nächstes führen? Florinda wusste es nicht und wollte es
auch gar nicht wissen. Sie verließ sich voll und ganz auf Antonio. So
lange war sie allein gewesen, hatte nichts gehabt außer jener Sehnsucht
in ihrem Herzen, Sehnsucht nach einem Menschen, der sein Letztes für
sie gab. Sie ahnte, wie schwer das alles für ihn war, doch sie war
überzeugt, dass er jedes Opfer bringen würde, um Florinda und das
ungeborene Kind zu schützen …
Nein, das war zu dick. Die beiden letzten Sätze löschte Flora
sofort. Sie wollte schließlich keinen Schmachtschinken schreiben. Ein
bisschen Erotik und Gefühle an den richtigen Stellen waren voll und
ganz in Ordnung. Aber Schmalz à la Barbara Cartland – nein
danke.
Nächtliche
Irrwege
P lötzlich ging die Fahrertür auf, und ein
Mann ließ sich schwer hinters Steuer fallen. Flora zuckte zusammen und
unterdrückte nur mit Mühe einen Aufschrei. Der Fremde war jung, bleich,
hager und trug eine fleckige dunkle Lederjacke.
Fassungslos sah Flora zu, wie der Mann den Autoschlüssel ins
Schloss rammte und den Wagen anließ. Dann grinste er Flora an. Seine
Eckzähne waren erschreckend spitz. Spitz war auch sein schwarzer
Haaransatz. Fehlte nur noch der schwarze Flatterumhang. Flora fasste
unwillkürlich schützend an ihre Halsschlagader. Wer, zum Teufel, war
dieser Kerl? Und warum hatte Anton ihm den Wagenschlüssel gegeben? Wo
blieb Anton überhaupt?
Diese letzte Frage wurde umgehend beantwortet, denn Anton riss
auf der Beifahrerseite die Tür auf. »Los, aussteigen.«
»Was? Wieso denn?«
»Frag nicht. Mach schon.«
»Aber …«
»Ich erklär's dir später.«
Flora gehorchte verdattert. Sie klappte rasch das Notebook zu
und stieg mit Antons Hilfe aus. Ihre Füße versanken augenblicklich bis
an die Knöchel im durchweichten Waldboden. Nur mit größter Anstrengung
gelang es Flora, das Gleichgewicht zu halten und nicht der Länge nach
im Matsch zu landen. Der sumpfige Boden unter ihren Füßen gab saugende
Geräusche von sich und floss in ihre Slipper, als sie versuchte,
besseren Halt zu gewinnen, ohne dabei den Computer oder ihre Handtasche
fallen zu lassen.
Anton bückte sich in den Fond, um seine Siebensachen in
Xaviers Koffer zu verstauen. Er richtete sich mit dem Koffer in der
einen und der Robe in der anderen Hand wieder auf, nickte Spitzzahn zu
und warf die Tür ins Schloss.
Große Klumpen feuchter Erde wurden hochgeschleudert, als der
Wagen abrupt anfuhr. Flora wich mit einem Aufschrei zurück und knallte
mit dem Rücken gegen Anton, der glücklicherweise so viel
Geistesgegenwart besaß, sie zu stützen und sich trotz der zusätzlichen
Last nicht umwerfen zu lassen.
Mit gemischten Gefühlen sah Flora zu, wie der BMW
beschleunigte und durch die über dem Boden dahintreibenden
Nebelschwaden davonfuhr, bis die roten Rücklichter zwischen den Bäumen
verschwanden.
»Was war das denn für ein Typ?«, fragte Flora. »Ein Freund von
dir?«
»Ein Mandant.«
»Du sagst das so, als könnte der eine nicht das andere sein.«
»Wie bitte?«
»Als könnte ein Mandant kein Freund sein. Und umgekehrt auch
nicht.«
Anton nickte. »Unter Anwälten gilt die ungeschriebene Regel,
beides nicht zu vermischen. Wenn du einen Freund zum Mandanten nimmst,
bleibt er's nicht lange.«
»Freund oder Mandant?«
»Beides. Und umgekehrt gilt dasselbe.«
Während Flora noch
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