Ich schnapp' mir einen Mann
verblüfft. Seit seinem letzten Urlaub in der
Toskana – vor fünf Jahren – hatte ihn niemand mehr
Antonio genannt.
»Er ist viel zu auffällig!«, rief Flora. »Die Bullen fahnden
doch längst nach dem Kennzeichen. Warum, glaubst du, sind sie heute
Mittag so mir nichts, dir nichts vor dem Lokal aufgetaucht? Sie haben
einen heißen Tipp gekriegt!«
Natürlich, überlegte Anton. Aber das war noch nicht alles. Er
dachte automatisch an das Funkgerät, das Kleff vorhin hervorgeholt
hatte. Und er dachte an Polizisten. Viele Polizisten. Genug für eine
Ringfahndung. Das war in solchen Fällen die übliche Vorgehensweise.
Alle Ausfallstraßen wurden überwacht, ganze Autobahnabschnitte an
strategisch wichtigen Punkten kontrolliert. Jeder einzelne
Streifenpolizist weit und breit würde nach seinem BMW Ausschau halten.
Wie hatte ihm das nur entgehen können? Jedes Kind hätte daran gedacht!
Flora wartete auf eine Reaktion. Bis jetzt machte er nicht den
Eindruck, verstanden zu haben, wovon sie redete. Er starrte mit halb
geschlossenen Augen auf die Straße und wirkte wie jemand, der heftig,
aber vergeblich gegen schleichende Debilität ankämpft. Einerseits tat
er ihr Leid – sie hatte ihn wirklich durch ihr unüberlegtes
Handeln heute Morgen in der Bank in üble Bedrängnis
gebracht –, aber andererseits hätte er auf die veränderten
Umstände durchaus mit größerer Flexibilität reagieren können.
Angemessenes Verhalten in unerwarteten Stress-Situationen, so fand sie,
zeugte von wahrer Intelligenz. Aber da kam wahrscheinlich der Jurist in
ihm durch. Juristen legten sich nicht gern fest, glaubte Flora. Wer
sich nicht festlegte, konnte auch nicht falsch liegen. Sowohl
als auch war da viel besser. Eins von beidem war meist
richtig.
In Wahrheit hatte Anton im Geiste blitzartig bereits ein
halbes Dutzend Möglichkeiten, den Wagen abzustoßen, geprüft und als
unannehmbar verworfen.
»Ja«, sagte er unvermittelt.
»Ja, was?«
Anstelle einer Antwort umklammerte er das Lenkrad, als würde
ihm irgendetwas das Herz brechen.
Es war schon nach zehn Uhr, als endlich die
Lichtkegel von Scheinwerfern die Dunkelheit des Waldwegs zerschnitten.
Das Zuknallen einer Autotür und das lehmig nasse Schmatzen näher
kommender Schritte zeigte an, dass ihr Warten beendet war. Anton stieg
aus, um draußen, mit wem und weswegen auch immer, ›das Geschäftliche zu
regeln‹. Nach einem in aller Eile geführten Telefonat hatte Anton Flora
wortkarg mitgeteilt, dass er später am Abend einen ›Interessenten‹
treffen wolle. Für dieses eine Telefonat hatte er an ungefähr acht
Telefonzellen gehalten, bis er sich endlich für eine entscheiden
konnte. (Möglicherweise, so mutmaßte Flora, hatte aber auch die
Telefonkarte, die sie ihm schweigend angeboten hatte, zum Ende der
Suche beigetragen.)
Nach Antons Anruf waren sie scheinbar planlos durch die Gegend
gefahren, bis sie vor ungefähr zwei Stunden hier auf diesem einsamen
Waldweg gelandet waren. Seitdem blätterte er in den drei Akten, die er
sich abwechselnd vom Rücksitz holte, wobei er von Zeit zu Zeit ein
gequältes Stöhnen ausstieß und verzweifelte, aber unverständliche
Bemerkungen über Fristen, Kosten und Beweisprobleme in seinen dunkler
werdenden Bartschatten murmelte.
Flora ließ ihn in Ruhe. Ihr war ohnehin nicht danach, eine
Unterhaltung in Gang zu bringen. Es hatte aufgehört zu regnen, aber die
Luft im Wagen war immer noch feucht, und ihr Kleid fühlte sich klebrig
und klamm an. Doch Flora fand, es sei sinnlos, über ihre Lage
nachzudenken. Zu ändern war daran im Moment sowieso nichts. Diese
wunderbar pragmatische Einstellung rührte nicht zuletzt von dem
fantastischen Drive her, den ihre Geschichte vor Stunden bekommen
hatte. Flora tippte wie besessen. Ihrer Kreativität schienen keine
Grenzen gesetzt, und sie war wild entschlossen, jede Minute dieser
Phase auszunutzen; wenn erst das Baby da war, würde sie vermutlich
nicht mehr viel Zeit zum Schreiben haben.
Gedanken an das Baby brachten zwar unvermeidlich die
Assoziation Bankraub-Frauenknast-Knastbaby mit sich (teilweise war
diese Anwandlung so intensiv, dass sie das Baby sogar im
Knaststreifenstrampler vor sich sah), doch Flora verdrängte jedesmal
die aufkommende Panik mit geradezu obsessivem Eifer. Sie ließ alle
Gefühle in ihre Zeilen fließen und spürte dabei, dass sie so gut war
wie noch nie. Daran vermochten sogar die Radionachrichten nichts zu
ändern.
Sie folgte der Stimme des Sprechers nur mit
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