Ich schnapp' mir einen Mann
überlegte, was ihr diese Bemerkung sagen
sollte (falls überhaupt), legte Anton ihr die Robe um die Schultern.
Angenehm überrascht blickte sie zu ihm auf, doch bevor sie etwas äußern
konnte, fasste er sie bei den Schultern und drehte sie in die Richtung,
wo am Waldrand ein länglicher Schatten auszumachen war, von dem das
Licht ausging, das um sie herum trübe die Nacht erhellte. Wie ein
urzeitlicher Behemoth dräute es unter den aufragenden Stämmen und
schien sie mit seinem tückisch leuchtenden Auge zu beobachten.
»Was ist das?«, fragte Flora, während sie durch den Morast auf
den Schatten zustapften.
»Ein Teil der Gegenleistung.«
»Gegenleistung wofür?«
»Für den BMW«, sagte Anton mit tiefem Schmerz in der Stimme.
Flora blinzelte. Der ›Teil der Gegenleistung‹ war ein
waschechter Trabant. Das Standlicht funktionierte nur an einer Seite,
aber das matte Licht reichte aus, um wesentliche Einzelheiten erkennen
zu lassen. Die Karosserie, mit unzähligen großen und kleinen Kratern
übersät, war eine einzige Mondlandschaft auf Rädern.
Die Farbe der Lackierung (falls es überhaupt noch Lack an dem
Vehikel gab) war undefinierbar, doch dafür war das Alter des Vehikels
recht gut einzuschätzen. Auf keinen Fall jünger als fünfundzwanzig. Ein
nicht totzukriegendes Artefakt aus den Ur-uraltbeständen des vormaligen
Arbeiter- und Bauernstaats.
»Du lieber Himmel«, sagte Flora tief erschüttert. »Wie
konntest du dir bloß so ein abgefahrenes Teil andrehen lassen?«
»Weil man sich in gewissen Zwangssituationen an die
Gegebenheiten anpassen muss«, erwiderte Anton gereizt, während er
versuchte, die Beifahrertür zu öffnen, die sich indessen seinen
Bemühungen quietschend widersetzte. »Kurz: Man muss nehmen, was man
kriegen kann, klar?«
»Klar«, sagte Flora und wartete kleinlaut, bis der Türspalt
breit genug war, um ihren dicken Bauch nebst Laptop durchzulassen.
»Und was ist der andere Teil der Gegenleistung?«, fragte sie,
nachdem Anton den Trabi umrundet hatte und ebenfalls eingestiegen war.
Er versuchte, seine langen Beine irgendwie zwischen Lenkrad und
löchriger Bodenmatte unterzubringen, ohne sich wichtige Körperteile
auszurenken.
»Geld«, sagte Anton mit leidendem Gesichtsausdruck.
»Echt? Wie viel?«
»Alles, was er in der kurzen Zeit flüssig machen konnte.
Fünftausend. Dreißigtausend schuldet er mir noch.«
»Wow!« Flora war beeindruckt. »Das ist 'ne ziemliche Menge,
oder?«
»Nicht für ein fast neues Neunzigtausendmarkcabrio mit
Ledersitzen, Stereoanlage, Wegfahrsperre, Zentralverriegelung,
Sonnendach …«
»Dafür hat dein Mandant jetzt ein heißes Auto am Hals«, fiel
Flora ihm tröstend ins Wort. »Ein ganz schönes Risiko, oder etwa nicht?«
»Das ist sein Beruf.«
»Wirklich?«, fragte Flora fasziniert. »Und was macht er jetzt
damit?«
»Keine Ahnung. Das, was er sonst auch immer tut. Es irgendwo
ins Ausland verscherbeln, vermute ich. Ich hab versucht, ihn für eine
Art entgeltlicher Aufbewahrung auf unbestimmte Dauer zu erwärmen, aber
darauf wollte er sich leider nicht einlassen. Ganz oder gar nicht,
darauf hat er bestanden. Ich hatte keine Wahl.«
Anton drehte den Zündschlüssel, und der Motor gab ein
spuckendes Geräusch von sich, das nach mehrmaligem Betätigen des
Gaspedals in ein heiseres Fauchen überging.
»Pass auf, am Ende fährt das Ding gar nicht«, bemerkte Flora.
»Unsinn. Es ist ja irgendwie hergekommen, oder nicht?«
»Vielleicht braucht man dazu eine spezielle Technik.«
»Wenn das der Fall sein sollte«, presste Anton zwischen
zusammengebissenen Zähnen hervor, »so werde ich sie erlernen!«
Flora betrachtete ihn mit neuer Aufmerksamkeit. Er hatte nicht
nur in erstaunlich kurzer Zeit ein anderes Auto organisiert, sondern
hatte sich zudem nach (verständlichem) anfänglichen Zögern mit
überraschender Schnelligkeit an seine missliche Lage angepasst. Und er
offenbarte ständig neue Qualitäten. Es schien, als sei er tatsächlich
auch Krisensituationen gewachsen. Man konnte sein derzeitiges Verhalten
wohl nur als hartnäckig, entschlossen und besonnen bezeichnen, dachte
Flora voller Bewunderung. Es hätte sie nicht erstaunt, wenn er mit
Spitzzahn bis aufs Blut um den Preis gefeilscht hätte, so wie sie
selbst mit Wiesel um das Pfandgeld für ihren Laptop. Es war allerdings
nicht zu bestreiten, dass Anton weit erfolgreicher aus seiner
Transaktion hervorgegangen war als sie aus ihrer, setzte man beide
Geschäfte zueinander ins
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