Ich schnapp' mir einen Mann
noch unterstützt von dem Herrn Advokaten. Wie auch
immer, für sich hatte Kleff den Fall längst aufgeklärt. Die
Ermittlungsergebnisse der letzten Tage gaben ihm Recht, doch ihm
fehlten die letzten schlüssigen Beweise. Wenn er Glück hatte, würden
die Mutter und der Anwalt ihm sogar diese Beweise liefern. Und sich
selbst gleich dazu.
Sie trug einen auffällig blauen Mantel über ihrem auffällig
dicken Bauch. Ihr helles, wallendes Lockenhaar war weithin sichtbar. Es
musste schon mit dem Teufel zugehen, wenn er sie verlor. Er hätte sie
längst eingeholt, wenn er Wert darauf gelegt hätte, doch er hoffte,
dass sie ihm weitere Anhaltspunkte lieferte, bevor der unvermeidliche
Augenblick der Festnahme kam.
Flora hatte unterdessen festgestellt, dass die Passanten,
denen sie begegnete, vornehmlich Menschen waren, bei denen nichts
darauf hindeutete, dass sie nach erotischen Kicks trachteten. Sie kamen
ganz normal daher, alt, jung, dünn, dick, schlicht gekleidet oder
elegant, gerade so, wie in jedem anderen Teil der Stadt, wo Menschen
unterwegs waren, zu Geschäfts- und Arztterminen, zum Einkaufen oder
Bummeln. Im selben Moment begriff Flora, dass all diese ganz normalen
Menschen ganz normale Alltagsbedürfnisse hatten. Sie gingen nicht nur
einkaufen oder bummeln, sondern sahen auch liebend gern fern.
Nur Augenblicke später, bei einem Seitenblick in das
verspiegelte Schaufenster eines Coiffeurs, ging Flora siedend heiß auf,
dass sie heute Früh vergessen hatte, die Perücke aufzusetzen. Sie
verfluchte sich für ihre Leichtfertigkeit, und vor dem nächsten
Passantenpaar, das ihr entgegenkam, wich sie hastig in einen
Hauseingang zurück. Das hatte noch gefehlt, dass sie aus purer
Dusseligkeit irgendwelchen Leuten in die Arme lief, die sie aus den
Nachrichten wiedererkannten und die wahrscheinlich nur darauf lauerten,
sich durch eine private Festnahme in Presse, Funk und Fernsehen als
Helden der Stunde zu profilieren! Jeder halbwegs kräftige Mann konnte
sie mühelos festhalten, bis die Polizei eintraf, um sie einzubuchten.
Für ein solches Ende ihres heutigen Ausflugs hätte sie wahrlich nicht
den Besuch im Wilden Weib auf sich nehmen müssen!
An den Wänden des Hauseingangs befanden sich ähnlich
einschlägige Plakate und Schilder wie beim Wilden Weib, und Flora sah,
dass sie wieder vor einem Nachtclub stand. Es gab reichlich Boys
zum Verlieben und Lederkerle ohne Tabus, und
als Flora ein Stück von der Wand zurücktrat, um die ansehnlichen
Lederkerle genauer betrachten zu können, stieß sie mit dem Rücken gegen
einen lebensgroßen Pappkameraden, der, nackt bis auf einen gut
gefüllten G-String, lächelnd seine enormen Muskeln präsentierte und
seine Umwelt mittels Sprechblase wissen ließ, dass er der Frontman of the Gay Parade war, die hier schon
die zwölfte Woche vor begeistertem Publikum die Hüllen fallen ließ.
Flora riss sich von dem Anblick los und beeilte sich,
weiterzukommen. Sie ließ den Kopf so weit wie möglich hängen, damit das
herabfallende Haar ihr Gesicht verbarg, doch als sie um die nächste
Ecke bog, kam ihr erneut jemand entgegen, der sie, wie ihr schien,
einer allzu neugierigen Musterung unterzog. Augenblicklich trat sie
unter die nächstbeste Überdachung, wo sie sogleich mit wachsender
Neugier bemerkte, dass sie diesmal an einen Sado-maso-Club geraten war.
Auf der Tür prangte eine überdimensionale Domina in eng geschnürter
Ledercorsage und hüfthohen Stiefeln, die über ihre erhobene Peitsche
hinweg hochmütig zu Flora herabsah.
Im Gesicht der Domina öffnete sich eine Klappe, und ein
übernächtigtes Gesicht erschien, von dem unmöglich zu sagen war, ob es
männlich oder weiblich war. »Wir ha'm noch nich auf«, verkündete eine
übernächtigte Stimme, in ihrer Heiserkeit ebenfalls geschlechtsneutral.
»Oh, ich wollte nicht …« begann Flora, als eine große
Hand, die von hinten schwer auf ihre Schulter fiel, ihre Rechtfertigung
in entsetztem Schweigen ersterben ließ. Aus, dachte sie. Geschnappt.
Alles umsonst. Ihre Schultern sanken in tiefer Resignation herab. Es
hatte keinen Sinn, sich dagegen zu sträuben. Jetzt durfte sie nur noch
an ihr Baby denken.
»Ich wehr mich auch nicht«, sagte sie mit dünner Stimme.
»Dein Glück«, sagte Anton. Er umschlang sie und drückte sie
fest an sich. »Gott sei Dank, ich hab dich gefunden!«
Flora hing schlaff in seinen Armen, einer Ohnmacht nahe.
»Ist dir nicht gut?«, fragte er besorgt.
Sie machte sich los und starrte ihn böse
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