Ich schreib dir morgen wieder
beantwortete er seine eigene Frage, und ich bekam auf einmal eine Gänsehaut.
»Was? Aber das kann doch nicht sein«, entgegnete ich. »Woher sollten Arthur und Rosaleen dieses ganze Zeug haben?«
»Tja, entweder haben sie es gestohlen …«
»Genau!« Auf einmal ergab alles einen Sinn. Sie waren Diebe – na ja, Arthur vielleicht nicht, aber bei Rosaleen konnte ich es mir sogar sehr gut vorstellen.
»Oder sie lagern die Sachen für die Kilsaneys«, unterbrach Weseley meine Grübelei. »Oder …« Er grinste mich an und wackelte mit den Augenbrauen.
»Oder was?«
»Oder sie
sind
Kilsaneys.«
Ich schnaubte wegwerfend. Unmöglich. Aber dann lenkte mich etwas Rotes unter einer anderen Teppichrolle ab, die Weseley ebenfalls umgeworfen hatte. »Das Fotoalbum!«, rief ich, denn ich hatte das rote Buch erkannt, das ich in der Woche nach unserer Ankunft im Regal gefunden hatte. »Ich wusste doch, dass ich es mir nicht eingebildet hatte.«
Wir holten es heraus, setzten uns hin und sahen uns die Bilder an, obwohl der Augenblick, in dem Arthur und Rosaleen zurückkommen würden, immer näher rückte. Es waren Kinderbilder, schwarzweiß, teilweise schon ziemlich vergilbt.
»Erkennst du jemanden?«, fragte Weseley gespannt.
Als ich den Kopf schüttelte, blätterte er schneller.
»Warte mal«, unterbrach ich ihn. Jetzt hatte doch ein Bild meine Aufmerksamkeit geweckt. »Geh noch mal zurück.«
Es war ein Foto von zwei Kindern, ein kleines Mädchen und ein etwas älterer Junge, umgeben von Bäumen. Sie standen sich gegenüber, hielten sich an den Händen, und ihre Stirnen berührten sich. Ich musste sofort an Arthurs und Mums groteske Begrüßungszeremonie denken.
»Das sind Arthur und meine Mum«, erklärte ich. »Da ist Mum höchstens fünf Jahre oder so.«
»Und schau dir Arthur an! Der war schon als Kind nicht gerade hübsch«, witzelte Weseley, während er das Bild mit zusammengekniffenen Augen etwas eingehender betrachtete.
»Ach, sei nicht so fies«, lachte ich. »Aber ich hab noch nie ein Kinderbild von Mum gesehen.«
Auf der nächsten Seite war ein Bild, auf dem Mum, Arthur, Rosaleen und noch ein anderer Junge zu sehen waren.
Unwillkürlich schnappte ich nach Luft.
»Deine Mum und Rosaleen haben sich also schon als Kinder gekannt«, stellte Weseley fest. »Wusstest du das?«
»Nein.« Vor Aufregung konnte ich kaum atmen, in meinem Kopf drehte sich alles. »Ich hatte keine Ahnung. Das hat mir nie jemand gesagt.«
»Wer ist der andere Junge?«
»Keine Ahnung.«
»Hat deine Mum noch einen Bruder? Er sieht älter aus.«
»Nein, sie hat keinen Bruder außer Arthur. Jedenfalls hat sie nie einen erwähnt …«
Vorsichtig steckte Weseley die Hand unter die Plastikfolie und zog das Foto heraus.
»Weseley!«
»Wir sind schon so weit gekommen – willst du die Wahrheit nun wissen oder nicht?«
Ich schluckte und nickte.
Weseley drehte das Foto um.
Auf der Rückseite stand: »Artie, Jen, Rose, Laurie. 1979.«
»Dann heißt der ältere Junge anscheinend Laurie«, stellte Weseley fest. »Kommt dir der Name bekannt vor? Tamara, du machst ein Gesicht, als hättest du einen Geist gesehen.«
Und so ähnlich war es auch. Auf dem Grabstein, an dem ich die Blumen niedergelegt hatte, stand »Laurence Kilsaney RIP «.
Auf der Rückfahrt von Dublin hatte Arthur »Rose« zu Rosaleen gesagt.
Im Stamm des Apfelbaums gab es die Inschrift »Laurie und Rose«.
»Das ist der Mann, der bei dem Feuer im Schloss ums Leben gekommen ist. Laurence Kilsaney. Sein Name steht auf einem Grab, das ich auf dem Kilsaney-Friedhof entdeckt habe.«
»Oh.«
Ich starrte auf das Foto der vier Kinder, auf ihre lächelnden, unschuldigen Gesichter. Das Leben lag noch vor ihnen, mit all seinen Möglichkeiten. Mum und Arthur hielten sich an den Händen, Laurence hatte den Arm locker um Rosaleens Schulter gelegt, seine Hand baumelte vor ihrer Brust – überhaupt wirkte seine Haltung sehr selbstbewusst, vielleicht sogar ein wenig eingebildet, wie er da stand, ein Bein lässig vors andere gekreuzt, und mit vorgerecktem Kinn in die Kamera grinste, als hätte er dem Fotografen gerade etwas Freches zugerufen.
»Mum, Arthur und Rosaleen hatten also etwas mit der Kilsaney-Familie zu tun, zumindest mit einem von ihnen«, sprach ich meinen Gedanken laut aus. »Ich wusste nicht mal, dass Mum hier gewohnt hat.«
»Vielleicht hat sie nicht hier gewohnt, sondern nur ihre Ferien verbracht«, warf Weseley ein, während er weiterblätterte. Auf allen
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