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Ich schreib dir morgen wieder

Titel: Ich schreib dir morgen wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecilia Ahern
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leichten Sommerbrise raschelten die Blätter wie Lippen, die den neuesten Tratsch austauschten und nie müde wurden, die Reise einer neuen Generation zu verfolgen.
    Ich ging die Straße entlang, und schließlich hörten die Bäume auf, die klug so gepflanzt worden waren, dass sie das Schloss vor neugierigen Blicken schützten. Obwohl ich ja diejenige war, die sich auf das Schloss zubewegte, hatte ich plötzlich den Eindruck, von ihm überrumpelt zu werden, als hätte sich ein Haufen zu Streichen aufgelegter Steine und Mörtel auf Zehenspitzen an mich herangeschlichen, weil er schon seit ein paar Jahrhunderten keinen richtigen Spaß mehr gehabt hatte. Ich blieb stehen, ein kleiner Mensch vor einem großen Schloss. Die Ruine kam mir dominanter und gebieterischer vor als ein intaktes Schloss, denn es erhob sich vor mir, ohne seine Narben zu verstecken, verwundet und blutig vom Kampf. Ich stand ihm gegenüber wie ein Schatten meines früheren Selbst, und auch meine Narben waren deutlich sichtbar. So entstand auf Anhieb eine Verbindung zwischen uns.
    Wir betrachteten einander, dann ging ich weiter auf das Gemäuer zu, und es zuckte nicht mit der Wimper.
    Obwohl ich es durch das große Loch in der Seitenmauer hätte betreten können, hatte ich das Gefühl, dass es respektvoller war, dort hineinzugehen, wo die Zeit zwar ebenfalls eine Lücke geschlagen hatte, aber früher einmal der Vordereingang gewesen war. Wem ich diesen Respekt erweisen wollte, weiß ich nicht genau, aber ich glaube, ich versuchte, an die sanfte, menschenfreundliche Seite des Schlosses zu appellieren. Vor der Tür hielt ich inne, dann ging ich langsam hinein. Es gab viel Grün und eine Menge Schutt. Zwischen den Mauern herrschte eine gespenstische Stille, und ich fühlte mich, als würde ich in ein Wohnhaus eindringen. Das Unkraut, der Löwenzahn, die Nesseln, alles hielt den Atem an und blickte auf. Keine Ahnung, warum, aber ich begann zu weinen.
    Genau wie damals die Fliege machte mich jetzt das Schloss traurig, aber bei realistischer Betrachtung denke ich, dass ich beide Male hauptsächlich um meiner selbst willen traurig war. Ich hatte das Gefühl, das Schloss klagen und stöhnen zu hören, wie es da stand, vernachlässigt, dem Verfall ausgesetzt, während die Bäume um es herum unbeirrt weiterwuchsen. Langsam ging ich zu einer der Mauern, deren Steine grob behauen und so groß waren, dass ich mir die starken Hände vorstellen konnte, die sie – freiwillig oder gezwungenermaßen – hierhergetragen hatten. In der Ecke kauerte ich mich nieder, drückte mein Ohr an den Stein und schloss die Augen. Ich weiß nicht, worauf ich lauschte, ich habe nicht den leisesten Schimmer, was ich da machte und warum ich versuchte, eine Steinmauer zu trösten, aber genau das tat ich.
    Wenn ich Zoey oder Laura davon erzählt hätte, wäre ich umgehend in dem Etablissement mit den hinten offenen Kitteln gelandet. Das Gefühl, dass irgendetwas in mir eine Verbindung zu diesem Gebäude hergestellt hatte, war überwältigend. Keine Ahnung, vielleicht wollte ich mir dieses Gemäuer, um das sich so offensichtlich niemand kümmerte, zu eigen machen, weil ich mein Zuhause verloren hatte und mir nichts mehr wirklich gehörte. Vielleicht war es aber auch nur der Effekt, dass einsame Menschen sich an alles und jeden klammern, damit sie sich nicht mehr ganz so alleine fühlen. Und diesen Zweck erfüllte für mich eben dieses alte Schloss.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so sitzen blieb, aber irgendwann versank die Sonne hinter den Bäumen und bestäubte die Ruine jedes Mal, wenn die Zweige sich raschelnd von einer Seite zur anderen neigten, mit funkelndem Licht. Eine Weile sah ich zu, dann merkte ich, dass sich die Abenddämmerung herabsenkte. Bestimmt war es schon bald zehn Uhr.
    Meine Beine waren ganz steif, weil ich so lange in der gleichen Position verharrt hatte, und als ich mich langsam aufrichtete, glaubte ich, aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrzunehmen. Einen Schatten. Eine Gestalt. Kein Tier, aber es bewegte sich blitzschnell. Was konnte das sein? Weil ich nicht wollte, dass mir das Wesen, wer oder was es sein mochte, von hinten in den Nacken sprang, zog ich mich rückwärts zum Schlosseingang zurück. Doch dann hörte ich ein anderes Geräusch – ein Krächzen, vielleicht von einer Eule oder etwas Ähnlichem. Ich erschrak halb zu Tode und wollte wegrennen, aber da ich vor lauter Gestrüpp den Boden nicht sehen konnte, stolperte ich über einen Stein und stürzte

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