Ich sehe dich
hinter das Sofa. Ihr rasendes Herz, ihr stilles Gebet, dass er sie nicht finden möge … Dann, ohne dass er das Wohnzimmer betreten hatte, die Haustür, die hinter ihm ins Schloss fiel. Ihre Erleichterung, als sie das Drehen des Schlüssels hörte. War es da oder erst, als sie selbst wieder im Hausflur stand, dass sie beschlossen hatte, ihm zu folgen? Sie wusste es nicht mehr. Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung gewesen, das hatte sie bald festgestellt, schon als er aus der U-Bahn gestiegen und zu Saras Wohnung gelaufen war. Sie wagte nicht, sich vorzustellen, was Carlo mit Sara gemacht hätte, wenn sie nicht eingegriffen hätte. Zum Glück war er auf die Gaspistole hereingefallen, er hätte sie ihr mit Leichtigkeit einfach aus der Hand schlagen können. Aber er hatte stocksteif dagestanden, als würde er nur darauf warten, dass sie abdrückte und ihm eine Kugel durch den Kopf jagte. Vielleicht hätte sie genau das getan, besäße sie eine richtige Knarre. Aber so konnte sie ihn nur niederschlagen und sich so schnell wie möglich wieder aus dem Staub machen. Wenigstens wusste sie jetzt, dass er hinter den Morden steckte, und sie konnte beweisen, dass er wieder versuchte, ihr seine Taten anzuhängen. Sie musste die KriminAlbolizei auf seine Fährte ansetzen, damit sie den fingierten Abschiedsbrief auf seinem Computer lasen. Selbst wenn dann immer noch sein Wort gegen ihres stand, hatte sie jetzt deutlich bessere Chancen, vor allem, wenn Sara auch gegen ihn aussagte.
Die schwere Tür öffnete sich. Lydia streckte ihr Kinn vor, beobachtete angespannt, wie ein neuer Gast in das Halbdunkel der Kneipe eintrat. Dann lehnte sie sich zurück und lächelte. Maren kam im Laufschritt auf sie zu und setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. Erst jetzt nahm sie ihren Schal ab und zwängte sich aus dem gefütterten Parka. »Du hattest Recht.«
Lydia spürte, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich. Als sie ihre Sachen aus der Wohnung holen wollte, hatte sie sofort gewusst, dass etwas nicht stimmte. Es war nicht schwer zu erkennen gewesen, dass die Polizei dort herumschnüffelte und jeden beobachtete, der ein und aus ging. Ihr erster Reflex war, zu verschwinden. Doch dann hatte sie es sich anders überlegt und Maren angerufen, sie gebeten, herauszufinden, was in ihrem Haus vor sich ging. »Konntest du das Geld aus dem Versteck holen?«
»Die haben mich gar nicht in die Wohnung gelassen. Die ist voller Bullen. Das ganze Haus wimmelt nur so von denen.« Maren senkte ihre Stimme und beugte sich über den Tisch. »Auch welche von der Spurensicherung.«
Lydia schluckte. Spurensicherung? In ihrem Appartement? Das konnte nicht sein.
»Bei mir? Sicher?«
Maren nickte. »Der eine wollte mich gar nicht mehr gehen lassen. Was ich mit dir zu tun hätte und wann ich das letzte Mal bei dir gewesen wäre … fieser Typ. Kennst du den? Die Bullen haben dich doch auch schon befragt.«
Sie zog eine Karte aus ihrer Jackentasche und reichte sie Lydia.
Kriminalhauptkommissar Klaus König. Lydia schüttelte den Kopf. Sie hatte mit jemand anderem gesprochen. Franz irgendwas. Was konnte in ihrer Wohnung so interessant sein, dass ein Richter einen Durchsuchungsbefehl ausstellte?
»Er hat gesagt, ich soll ihn sofort anrufen, wenn ich dich sehe. Sonst bekäme ich großen Ärger …« Maren fuhr sich durch ihre Haarmähne. »Ich hasse solche autoritären Säcke.«
Lydia zuckte mit den Schultern. »Hat er gesagt, warum?«
Maren schüttelte den Kopf. »Nein. Aber er hat mich gefragt, ob ich eine Schlange gesehen hätte. In deiner Wohnung!« Sie lachte verächtlich, als bestätige diese Frage die Dummheit des Polizisten.
»Er hat was gefragt?« Lydia schob ihren Kopf ruckartig nach vorn. Sie schaute Maren direkt in die Augen.
»Ob ich eine Schlange gesehen hätte, als ich am Wochenende bei dir war.« Sie verdrehte die Augen. »Eine Schlange! Wie absurd ist das denn?«
Lydia stützte ihren Kopf auf ihre Hände und schloss die Augen. Eine Schlange. Unter Garantie die schwarze Mamba, mit der Grossmann ermordet wurde. Warum auch nicht. Er hatte es schon einmal getan. Wieso kein zweites Mal? Wenn sich Beweise so wunderbar unterschieben ließen. Wie sollte sie jetzt noch zur Polizei gehen? Was war der fingierte Abschiedsbrief gegen die Tatwaffe in ihrer Wohnung, zumal jetzt ihre Fingerabdrücke auf Carlos Computer waren? Sie hob ihren Kopf und sah Marens besorgten Blick. »Ist es das? Absurd?«
»Ja, also hör mal …«
»Was, wenn Carlo die
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