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Ich sehe dich

Titel: Ich sehe dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Clark
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heimfahren? Dann können wir ungestört reden.«
    »Gerne.« Ungestört reden. Ja! Sie hatte tausend Fragen, die nach einer Antwort schrien, sich aber gegenseitig im Weg standen.
    Schweigend gingen sie den Gehweg entlang, zu einem schwarzen Alfa Romeo. Er öffnete die Beifahrertür. Auf dem Sitz stapelten sich Zeitungen.
    »Entschuldigen Sie, ich hatte nicht mit Begleitung gerechnet.« Er warf die Zeitungen in den Fond des Wagens. Sie stiegen ein. Als er den Motor starten wollte, jammerte der Anlasser nur kurz, dann war es still. Eine Zornesfalte bildete sich auf seiner Stirn.
    »Komm schon.« Er drehte den Schlüssel noch einmal um, es gurgelte, Stille. »Scheißkarre. Typisch Alfa. Wenn es zu kalt ist, fährt er nicht, wenn es zu heiß ist, fährt er nicht, und wenn es zu nass ist –«
    »Sowieso nicht. Ich weiß. Schönheit hat ihren Preis.«
    Der nächste Versuch klang besser, heulend sprang der Motor an.
    »Wie kommt der Staatsanwalt darauf, dass Tini etwas mit Pauls Tod zu tun haben könnte?«
    »Die Ehefrau ist in der Regel die erste Person, auf die die Polizei ihr Augenmerk richtet.«
    »Ist das nicht ein bisschen einfach?«
    »Nein, das ist Statistik.«
    »Aber Sie sind doch ihr Anwalt!«
    »Deswegen war ich eben bei der Nachbarin. Ich kann ihr nur helfen, wenn ich Beweise finde, die die Theorie der Polizei widerlegen.«
    »Braucht die Polizei keine Beweise?«
    »Doch. Sicher.«
    »Gibt es denn …« Sara räusperte sich. »Hat sie denn irgendwelche …«
    Seitz ließ seinen Blick von der Straße zu ihr wandern. Vorsichtig. Fragte er sich, wie viel er ihr anvertrauen konnte? Oder was sie wusste?
    »Tini und ich haben keine Geheimnisse voreinander. Sie können ruhig reden.«
    »Dann wissen Sie, dass sie geschlagen wurde?«
    Sie starrte immer noch wie betäubt ins Leere. Gedankenverloren nippte sie an ihrem Milchkaffee. Seitz hatte seine Aufmerksamkeit auf die Speisekarte gerichtet. Den Espresso hatte er in einem Zug geleert, wie ein Koffeinjunkie auf Entzug. Wer war dieser Mann, der ihr diese Ungeheuerlichkeiten erzählte? Woher wusste sie, dass sie ihm trauen konnte? Erst jetzt fiel ihr der Schatten auf seinem Gesicht auf. Ein unrasierter Anwalt? Ob er damit den Kratzer, der sich vom Ohr bis zum Kinn zog, verdecken wollte? Sie bekam plötzlich Kopfschmerzen. Pochend. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand massierte sie ihre Schläfe, die sich wie ein Blasebalg in ihr Gehirn ausdehnte und wieder zusammenzog. Wenn sie den richtigen Punkt traf, gingen die Schmerzen wieder weg. »Ich kann es einfach nicht glauben. Paul hat Tini wirklich geschlagen?«
    Seitz nickte. »Für die Polizei reicht das als Motiv. Außerdem sind ihre Fingerabdrücke auf der Aluschale mit den Essensresten, in denen wohl das Gift gewesen ist.« Er legte die Speisekarte weg. »Und sie war zum Todeszeitpunkt wahrscheinlich in der Wohnung.«
    Sara fixierte ihren Kaffee. Sie wollte Seitz nicht ansehen. Warum hatte Tini ihr nichts erzählt? Sie waren doch immer füreinander da gewesen. Sie spürte seinen Blick. »Ihre Schwester war öfters in einem Internetforum. Sie hat dort über ihre Probleme mit Paul geschrieben. Haben Sie Stift und Papier?«
    »Ja.« Sie holte ihr Notizbuch und einen Kugelschreiber aus ihrer Handtasche.
    »Notieren Sie bitte: www.frauenwehr.de. Ihre Schwester hat unter dem Pseudonym Esperanza geschrieben.«
    Tini hatte im Internet über ihre Eheprobleme geschrieben? Im Internet?
    »Das Problem ist, dass auf den ersten Blick viele Indizien gegen sie sprechen.«
    »Es macht keinen Sinn.« Sie räusperte sich. »Ich meine, sie hätte nur gehen müssen! Das predigt sie ihren Schützlingen doch hundert Mal am Tag!« Wütend verstaute sie ihr Notizbuch in der Tasche.
    »Ich weiß. Und dennoch deuten die Indizien auf sie. Wir müssen Beweise beibringen, dass sie es nicht gewesen sein kann.«
    »Aber wer könnte es denn gewesen sein?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Seitz.

11
    Leise öffnete Lydia die Tür zum Krankenzimmer. Sie versuchte zu lächeln, doch es fiel ihr schwer. Als der behandelnde Arzt sie eben zur Seite genommen hatte, um mit ihr über Marie zu sprechen, war ihr wieder einmal bewusst geworden, wie wichtig und gleichzeitig vergeblich ihre Arbeit oft war. Wie konnte Marie nach fast drei Jahren noch immer so einen Müll erzählen? Sie sei nach einen Albtraum in Panik aus dem Fenster gesprungen. Glaubte sie im Ernst, dass irgendjemand ihr das abnahm? Hier in der Notaufnahme, wo jeder Arzt ihren Leidensweg kannte?

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