Ich sehe was, was du nicht siehst
Glasschiebetür zu jemandem hin, der sich im Inneren des Hauses befand. Madison betrachtete das Bild aus schmalen Augen. Sie schnappte nach Luft, als sie schwach die Gestalt einer anderen Person ausmachte, die auf dem Foto kaum zu sehen war.
Sie
selbst war die Person im Inneren des Apartments.
Sie stöhnte leise auf, als sie das nächste Bild von Pierce bemerkte: Es war eine Aufnahme, die ihn nach der Schießerei auf der Straße liegend festgehalten hatte, sein Hemd war blutdurchtränkt. Und das alles, weil er sie hatte beschützen wollen.
Die Botschaft war eindeutig. Wer auch immer sie entführt hatte, bedrohte ihre Familie und jeden Menschen, der ihr etwas bedeutete.
»Was wollen Sie von mir? Wer sind Sie? Damon? Bist du der Feigling, der mir das hier antut? Wenn du es wagst, meiner Familie ein Haar zu krümmen, bringe ich dich um. Hörst du mich, Damon? Du bist einmal davongekommen, aber das wird dir nicht noch einmal gelingen. Ich werde dich finden. Ich bringe dich um!« Tränen strömten ihr über das Gesicht, als sie zu Boden sank, die Fäuste kraftlos gegen die Tür gestemmt.
Ein Geräusch auf der anderen Seite brachte sie dazu, sich aufzurichten. Jemand näherte sich der Tür. Näher, die Schritte kamen immer näher und verharrten schließlich vor der Tür.
Ihr Herz klopfte so stark, dass sie kaum Luft bekam. Sie wartete und beobachtete den Türknauf. Sie betete, die Tür möge sich öffnen, und fürchtete gleichzeitig nichts mehr als das.
Eine volle Minute verstrich. Nichts. Vollkommene Stille. Die Tür blieb geschlossen.
Ohne ein Geräusch zu machen, kauerte sie sich hin und drückte die Wange gegen den kalten Betonboden, um unter dem Türspalt hindurchzuspähen.
Etwas flog in ihre Richtung und streifte ihr Gesicht.
Sie schrie laut auf und riss den Kopf zurück.
Gelächter hallte durch den Flur, und gleichzeitig entfernten sich die Schritte, sie wurden immer schwächer, bis sie nicht mehr länger zu hören waren.
Ein weißes Blatt Papier lag vor ihr auf dem Betonboden. Das war es, was unter dem Türspalt hindurch in ihr Gesicht geflattert war.
Ihre Hand zitterte, als sie zögernd die Hand ausstreckte und den Zettel aufhob. Buchstaben unterschiedlicher Farben und Größen waren darauf geklebt, die aussahen, als wären sie aus einer Zeitschrift ausgeschnitten worden. Als sie las, was darauf stand, begann sie so heftig zu zittern, dass ihre Zähne klappernd aufeinanderschlugen.
DAS HIER IST ERST DER ANFANG DEINER BESTRAFUNG .
Vierundzwanzig Stunden.
Madison wurde inzwischen seit vierundzwanzig Stunden vermisst. Pierce hatte lange genug in der Abteilung für Gewaltverbrechen gearbeitet, um zu wissen, wie hoch die Chancen standen, dass sie lebend gefunden wurde.
Nicht sehr hoch.
Die grellen Sonnenstrahlen, die durch Madisons Schlafzimmerfenster hineindrangen, ließen ihn blinzeln. Er war am vergangenen Abend hierhergekommen, weil er so müde war, dass er sich nicht mehr hatte konzentrieren können. Er hatte die Absicht gehabt, ein kurzes Nickerchen zu machen, doch die Sonnenstrahlen, die ins Zimmer drangen, verrieten ihm, dass er viel länger geschlafen hatte, als er vorgehabt hatte.
Fluchend sprang er aus dem Bett. In Windeseile erledigte er seine Morgentoilette und nahm eine kalte Dusche, um schneller wach zu werden. Braedon hatte ihm aus seinem Haus eine Reisetasche mit Kleidung mitgebracht. Die Rasur sparte er sich. Er zog eine Hose und ein Hemd an und trottete barfuß hinunter ins Erdgeschoss.
Er nickte Lieutenant Hamilton zu, der auf einem der Sofas saß, und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu holen. Hamilton sah genauso elend aus, wie Pierce sich fühlte. Obwohl er an Madison zweifelte, tat er alles, was in seiner Macht stand, um bei der Suche nach ihr zu helfen, und Pierce bereute bereits seine bösen Gedanken.
Jedenfalls die meisten.
Er goss sich eine Tasse Kaffee ein und nahm einen Schluck. Bei dem bitteren Geschmack verzog er zwar das Gesicht, doch das Koffein war hochwillkommen. Er hob die Stimme, damit Hamilton ihn nebenan hören konnte. »Gibt es schon etwas Neues?«
Der Lieutenant gähnte laut. »Nein, dafür ist es noch zu früh.«
Pierce trank noch einen Schluck. Tessa verfolgte noch immer die einzige Spur, die sie hatten: die Sichtung von Madisons Wagen im Super 8 Motel. Tessa war stur wie eine Bulldogge, und wenn da etwas war, dann würde sie es finden, da war er sich hundertprozentig sicher. Sie war zwar jung und unerfahren, aber auch hartnäckig und clever.
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