Ich sehe was, was du nicht siehst
hintere Schlafzimmer nach draußen gegangen sein. Ohne gesehen zu werden.«
Pierce verschränkte die Arme vor der Brust. Hamiltons Theorie war einleuchtend, und es fiel Pierce schwer, ihm zu widersprechen.
Tessa zog eine Aktenmappe aus ihrer Handtasche. Sie legte sie auf den Tisch und holte einen dünnen Stapel Schwarz-Weiß-Fotos heraus. »Das hier sind die Aufnahmen, die die Sicherheitskamera des Motels geschossen hat. Die Qualität lässt zwar zu wünschen übrig, aber ich fand sie dennoch ziemlich überzeugend. Das Autokennzeichen ist deutlich zusehen.« Sie reichte Pierce die Fotos.
Er betrachtete sie gut eine Minute, bevor er sie wieder auf den Tisch warf. »Das ist zwar Madisons Auto, aber die Frau ist nicht Madison.«
Sie nahm die Fotos in die Hand und studierte sie gründlich. »Wie kommst du darauf?«
»Irgendetwas stimmt nicht, aber ich bin mir noch nicht sicher, was es ist. Ich komm schon noch darauf. Aber eine Sache kann ich dir jetzt schon sagen: Wer immer die Frau auf dem Foto ist, sie gibt sich alle Mühe zu verhindern, dass die Kamera eine gute Aufnahme von ihrem Gesicht schießen kann.«
Tessa sah sich noch einmal in Ruhe jedes einzelne Foto an. »Du hast recht. Ihr Gesicht ist auf keiner Aufnahme vollständig zu sehen. Auf der einen Hälfte der Fotos trägt sie eine Sonnenbrille, und auf den übrigen Aufnahmen dreht sie das Gesicht zur Seite. Alles, was man sicher sagen kann, ist, dass sie dunkles Haar und eine ähnliche Figur wie Mrs McKinley hat und dass sie dieselbe Kleidung trägt.« Sie sah ihn an. »Bei der Kleidung sind wir uns aber einig, stimmt’s?«
»Ja, das sind Madisons Kleider.« Er versuchte nicht daran zu denken, was es bedeuten mochte, wenn jemand ihr ihre Kleider ausgezogen hatte. Der Gedanke war einfach zu schmerzhaft.
»Nehmen wir mal an, dass Sie recht haben und sie wirklich entführt worden ist. Wie sieht Ihre Theorie aus?«, fragte Hamilton.
»Madison ist ursprünglich nach Savannah gekommen, weil jemand an ihrer Stelle ein Kündigungsschreiben an ihre Immobilienfirma geschickt hat. Außerdem ist der Mann, der sich einmal in der Woche um den Garten gekümmert hat, verschwunden. Zumindest ist das meine Vermutung. Haben Sie eigentlich inzwischen persönlich mit Newsome gesprochen?«
Hamilton schüttelte den Kopf. »Nein. Aber es ist auch keine Vermisstenanzeige aufgegeben worden.«
»Vielleicht hat er keine Familie, die ihn vermisst melden könnte«, schlug Tessa vor.
»Möglicherweise. Ich kann jemanden damit beauftragen, das zu überprüfen.«
»Das wäre ein Anfang«, stimmte Pierce zu. »Also, welchen Gewinn hätte jemand davon, der Immobilienfirma zu kündigen und möglicherweise den Gärtner verschwinden zu lassen?«
»Weil er oder sie nicht möchte, dass jemand dieses Haus überprüft«, sagte Tessa.
»Richtig. Wenn wir davon ausgehen, dass Madison heute Morgen entführt worden ist, dann ist anzunehmen, dass der Entführer dieses Haus sehr gut kannte. Er kannte einen zweiten Weg ins Haus, sodass er sie entführen konnte, ohne dass ihn jemand dabei beobachtete. Und wenn wir dann noch die Botschaften, die Anrufe und die zerstörten Gartengeräte mitbedenken …«
»Es geht um das Haus«, sagte Tessa.
Pierce nickte. »Es wirkt jedenfalls so. Ich glaube, dass jemand in diesem Haus gewohnt hat, und dass er sowohl den Immobilienmanager als auch den Gärtner loswerden wollte, damit sie ihn nicht anzeigten. Der Großteil der Nachbarn verbringt den Winter nicht in Savannah, also kann auch niemand wissen, dass das Haus eigentlich leer stehen sollte. Niemand würde es der Polizei melden, wenn nachts mal Licht im Haus brennt oder ein Auto vor der Tür parkt. Als Madison herflog, um sich zu vergewissern, dass mit dem Haus alles in Ordnung war, und dann blieb, beschloss der Unbekannte, ihr das Leben schwer zu machen oder sie einzuschüchtern, damit sie freiwillig ging.«
»Wenn es wirklich so ist, warum dann die Entführung?«, fragte Hamilton.
»Er wollte sichergehen, dass die Botschaft ankommt«, vermutete Tessa.
»Und welche Botschaft wäre das?«, fragte der Lieutenant.
»Dass er sie aus dem Haus haben will.«
Pierce schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, Tessa. Ich glaube, dass er ihr am Anfang wirklich nur Angst einjagen wollte, aber mittlerweile macht ihm die ganze Sache Spaß. Er hat seine Pläne geändert. Die Aufmerksamkeit, die er erregt hat, und die Polizeiermittlungen sind ihm egal. Denkt mal darüber nach – wenn er immer noch darauf aus
Weitere Kostenlose Bücher