Ich soll nicht töten
Tasche, oder freust du dich nur, mich zu sehen?‹ Ho, ho, ho. Aber warum zwei davon aufheben. Warum …
» Hey, Jazz?«, sagte Howie, und aus seiner Stimme klang Verwunderung.
Jazz drehte sich um und richtete seine Taschenlampe in die Richtung, aus der die Worte gekommen waren. Howie balancierte gefährlich auf ein paar nassen Steinen, die aus dem Bach ragten, und hatte den Kopf tief unten, um ins Wasser zu seinen Füßen zu spähen. Jazz biss sich auf die Unterlippe und versuchte, sich nicht vorzustellen, wie Howie ausrutschte und sich den Schädel einschlug. » Hey, sei vorsichtig, ja?« Er wollte sich auch nicht vorstellen, wie schnell Howie verbluten würde.
» Als du von Hinweisen gesprochen hast, meintest du da etwas wie das hier?« Und mit diesen Worten tat Howie das Schlimmste und Dümmste, was er tun konnte, und streckte die Hand zwischen zwei Steine, obwohl Jazz noch schrie: » Nichts anfassen!«
Aber es war zu spät.
Einen Augenblick später präsentierte ihm Howie mit verwirrtem Gesichtsausdruck einen glitzernden Gegenstand in der ausgestreckten Hand. » Was ist? Was habe ich falsch gemacht?«, fragte er.
» Spielt keine Rolle mehr«, sagte Jazz etwas mürrischer als wahrscheinlich nötig. Selbst erfahrene Polizisten bauten manchmal Mist und vergaßen den richtigen Umgang mit Beweismaterial oder ignorierten ihn schlicht. Er stapfte über weichen Untergrund und nasse Steine zu Howie und richtete seine Taschenlampe auf dessen Hand. Es war ein Ring. Jazz tröstete sich damit, dass das Wasser wahrscheinlich alle Spuren oder Fingerabdrücke ohnehin weggewaschen hatte. Trotzdem war es beschissen, dass sein erster richtiger Durchbruch in dem Fall jetzt unwiderruflich kontaminiert war.
» Er sieht wie ein Kinderring aus«, sagte Howie. » Er ist so klein.«
» Kein Kinderring«, sagte Jazz. Er streckte die offene Hand aus, und Howie ließ den Ring hineinfallen. » Er gehört ihr. Ich wette, es ist ein Zehenring.«
Howie schnalzte mit der Zunge. » Sexy!« Dann fiel ihm ein, wer den Ring getragen hatte. » Oh, krass. Vergiss, was ich gesagt habe.«
Jazz leuchtete aus einem anderen Winkel. Der Ring, ein schmales Band aus leicht mattem Gold wurde von zwei eingelassenen Steinen verziert. Es konnten Rubine oder Granate sein… oder einfach zwei Schnipsel rotes Plastik. Das ließ sich im Augenblick nicht sagen.
» Was bedeutet rot?«, fragte Howie aufgeregt. » Du hast gesagt, wir müssen das Opfer verstehen, richtig? Also, was verrät uns die Farbe Rot?«
» Wahrscheinlich nichts. Vielleicht ihr Monatsstein. Oder der Monatsstein von jemandem, der ihr wichtig ist. Oder vielleicht gefällt ihr die Farbe einfach nur.« Er widerstand dem Drang, das Ding einfach wieder in den Bach zu werfen. Es war ein Hinweis, sicher, aber erst einmal wertlos.
» Da steht etwas drin«, sagte Howie und deutete. Er sah den Ring aus einer anderen Perspektive.
Tatsächlich waren Buchstaben auf der Innenseite des Rings eingraviert. Jazz und Howie lasen sie gemeinsam ab, während sie die Strahlen der Taschenlampen hin und her neigten, um das günstigste Licht zu erhalten, damit sie die Zeichen entziffern konnten.
» Vier FG Strich DR .«
Sie sahen einander an, dann wieder auf den Ring.
4 FG - DR .
» Tja«, sagte Howie nach längerem Schweigen. » Das erklärt ja wohl alles, oder?«
10
Der Impressionist entfaltete das Blatt Papier, das er ständig in seiner Tasche stecken hatte. Rechte vordere Hosentasche. Dort und nirgendwo anders. So wusste er immer, wo es sich befand.
Er brauchte das Papier eigentlich nicht mehr. Er kannte seinen Inhalt längst auswendig, nicht nur die Worte in der korrekten Reihenfolge, auch die Besonderheiten der Handschrift selbst– die Schleifen der O s, die Querstriche der Fs und Ts. Er war überzeugt, er könnte, falls aufgefordert, den Inhalt des Blatts exakt reproduzieren– bis hinunter zu dem winzigen Aussetzer im Wort Feld, wo sich der Stift kurz verhakt, einen leichten Sprung gemacht und einen kaum wahrnehmbaren Fleck auf dem Papier hinterlassen hatte, ehe es erneut mit einer glatten Linie weiterging.
Das Papier enthielt die Anweisungen des Impressionisten. Sie waren ihm heilig. Egal, wie gut er diese Anweisungen kannte, er würde das Papier niemals wegwerfen.
Bisher hatte er die Anweisungen peinlich genau befolgt. Mit einer Ausnahme natürlich.
Der Junge.
Jasper Dent.
Am nächsten Morgen– dem Dienstagmorgen– saß der Impressionist im Coff-E-Shop an der Hauptstraße von Lobo’s
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